Wenn in Neukölln ein »linksradikales« wohnprojekt, in dem derzeit unterschiedlichen quellen zufolge 20 bis 25 menschen leben, nicht willens ist auf dem von ihm angemieteten gelände, bis zu 500 flüchtlinge einzuquartieren, ist das für die bürgerliche presse und natürlich die CDU ein gefundenes fressen.
Denen geht es darum, daß die bewohner der wagenburg mit doppelmoral handelten, weil sie einerseits »refugees welcome« sagten, aber andererseits flüchtlinge bei sich selbst nicht unterbringen wollten.
Allerdings bezeichnen die leute vom wagenplatz sich weder als links noch als linksradikal. Sie bezeichnen sich als »radical queer wagon place«. Mit querfront hat das ausnahmsweise nichts zu tun, sondern eher mit sexueller identität: mit dem begriff »queer« werden die leute bezeichnet, die nicht heteronorm sind. Mit politischer weltanschauung hat das nichts zu tun. Man ist nicht automatisch »rechts«, wenn man als heteropaar (womöglich auch noch verheiratet) zusammenlebt. Genau so wenig ist man unbedingt »links«, nur weil man schwul, lesbisch, polyamore, masochistisch, asexuell oder was auch immer ist.
In der »Welt« wird dann rumgenörgelt, daß die paar hanseln auf einer riesigen industriebrache hocken und das von ihnen angemietete gelände einfach nicht mit anderen teilen wollen:
Zitat »Welt«: »Exakt 20 Leute sind es – auf 8000 Quadratmetern. Zwischen Bäumen stehen Wohn- und Gemeinschaftswagen wie die Küche, eine Bühne sowie Räume für Musiker, Kino, Fahrradwerkstatt und Info-Veranstaltungen etwa zum Thema Integration oder Alltagsrassismus. Dafür zahlen sie Amina zufolge "monatlich 800 bis 1000 Euro plus Nebenkosten" an das Land Berlin, dem das Gelände gehört.«
Egal zu welchem preis, wenn man ein objekt angemietet hat, hat niemand darüber rumzunörgeln auf wieviel quadratmetern land man rumhockt, schließlich bezahlt man genau dafür.
Desweiteren wird mokiert, daß die wagenburgler mal fein dankbar sein sollten, weil der staat ihnen dieses projekt dank günstiger miete und viel geduld überhaupt erst ermögliche:
Zitat »Welt«: Mit anderen Worten: Die Wagenburgler fürchten staatliche Kontrolle, wenn sie das Areal mit 500 Flüchtlingen teilen müssten. Dass der Staat ihnen das Projekt dank günstiger Miete und großer Geduld überhaupt erst ermöglicht, ignorieren sie scheinbar. Es ist nicht der einzige Widerspruch, mit dem die Leute vom "Kanal" gut klarkommen.«
Das kann man aber auch ganz anders sehen. Die sachlage, daß sie etwas
mieten müssen, um irgendwo bleiben zu können, weil man nun einmal gar nichts besitzt, wird einem erst von diesem tollen staat doch überhaupt erst aufgezwungen.
Es wird darauf rumgehackt, daß die 400 quadratmeter pro person hätten. Hackt die »Welt« auch auf villenbesitzern rum, die riesige areale in schönen gegenden besetzen, die aber nur von sehr wenigen leuten genutzt werden dürfen? Natürlich nicht. Das ist ja privateigentum und dann ist es allein deren sache, ob sie irgendjemanden auf ihr gelände lassen oder nicht.
Jedoch ist im kapitalistischen staat mieten auch eine möglichkeit, wenigstens
besitz an einer sache zu erlangen. Und das bedeutet, daß man über die sache im gesetzlichen rahmen verfügen darf. Das hat mit »spießigkeit«, wie in der »Welt« behauptet, nichts zu tun. Jeder mieter verwendet sein mietobjekt für seine eigenen zwecke. Das ist hier so eingerichtet.
Es ist verständlich, daß sie keine verschlechterung ihrer wohnsituation möchen und sich die leute, mit denen sie auf dem von ihnen angemieteten gelände zusammenleben selbst aussuchen möchten. Soweit ich weiß, handelt es sich teilweise um leute, die ihrer sexuellen präferenzen wegen selbst fliehen mußten und hier eine art schutzraum gefunden haben, in dem sie ihren bedürfnissen entsprechend leben können.
Leider ist ihr mietvertrag vor einigen jahren ausgelaufen. Sie haben den neuen vertrag nicht unterschrieben, weil sie folgenden absatz als rassistisch abgelehnt haben:
Zitat aus dem mietvertrag: »In diesem Zusammenhang wurde seitens des Bezirkes angemerkt, dass bereits seit längerer Zeit keine Störungen mehr von diesem Standort ausgehen. Sofern sich jedoch an diesem grundsätzlichen Zustand etwas ändern sollte, ist der Vertrag unverzüglich zu beenden. Das Gleiche gilt, wenn sich auf der Mietfläche Personen aufhalten bzw. Personen Unterkunft gewährt wird, die durch ihren Aufenthalt auf der Mietfläche gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. (u.a. Personen, die sich mangels gültigen Aufenthaltstitels nicht in Deutschland aufhalten dürfen oder Personen, die durch ihren Aufenthalt auf der Mietfläche gegen Vorgaben gemäßt §47 AsyVfG oder vergleichbare Vorgaben verstoßen).«
Mit seiner menschensortiererei ist dieser staat genau so rassistisch wie alle anderen staaten, die nach in- und ausländern sortieren. Es ist in diesem staat verboten, personen zu beherbergen, die sich hier nicht legal aufhalten. Deshalb einen mietvertrag nicht zu unterschreiben ist ungefähr so schlau wie ein zwölfjähriger, der gern schule schwänzen möchte und vorher beim direx vorbeigeht und um erlaubnis fragt. Das ist halt nicht erlaubt und wird aus dem selben grund garantiert nie von oben abgesegnet. Übrigens ist es auch nicht erlaubt, in einer mietsache ständig menschen zu beherbergen, die sich
legal in Deutschland aufhalten. Nach spätestens zwölf wochen muß ein dauergast als mitbewohner angemeldet werden, das aber nur mal so nebenher.
Auch wenn diese floskel in dem mietvertrag nicht extra dringestanden hätte. Man darf seine mietsache immer bloß im rahmen der geltenden gesetze verwenden. Wenn man keine extrem toleranten nachbarn hat, kann es passieren, daß man seine wohnung verliert, wenn man ständig nach 22 uhr schlagzeug übt. Selbst wenn das im vertrag gar nicht erwähnt wird, das verstößt gegen ein gesetz. Das bedeutet, daß man irgendwann geräumt werden kann.
Wahrscheinlich wird ihnen diese politische korrektheit auf die füße fallen: der Bezirk Neukölln muß irgendwo eine massenunterkunft errichten und kann das gelände sehr gut brauchen. Vermutlich ist es nur eine frage der zeit, daß die ihr gelände verlieren werden. Ohne mietvertrag ist in diesem staat schlecht wohnen.
Nachbemerkung: ich bin kein jurist und die im text aufgegriffenen rechtsthemen stellen selbstverständlich keinerlei beratung sondern bloß meine sicht auf die angelegenheit dar.