Sonntag, 31. Juli 2011

Der Dopppelanschlag von Oslo: »Ist’s Wahnsinn auch, so hat es doch Methode.«

Alle Medien sind sich ziemlich1 einig: „Die Tat eines Irrsinnigen“, „Wahnsinn“, Psycho“ usw. Deswegen sei die Tat auch „nicht zu begreifen“, „nicht zu erklären“ und „nicht zu kommentieren“. Das mag als erste Reaktion verständlich sein. Immerhin stehen jedermann die Bilder von der Insel und der Innenstadt von Oslo vor Augen und hat jedermann die Zahl der Toten im Kopf. Doch es handelt sich bei diesen Verlautbarungen gar nicht um erste verstörte Reaktionen. Keiner der Schreiberlinge, die sich für unfähig erklären, angesichts der „Wahnsinnstat“ einen Kommentar abzugeben, legen Griffel oder Laptop weg, sondern legen los. Und wie. Der Befund „Wahnsinn“ oder „Irrsinn“ steht deshalb auch nicht für erste Sprachlosigkeit, sondern transportiert bereits knallharte Befunde: Die Attentate, so lauten sie, sind Ausgeburten eines kranken Gehirns, der Täter nicht bei Verstand2, weswegen sich eine ernsthafte Befassung mit der Tat verbietet - als ob die im Interesse von Presse und TV liegen würde.
Dabei wird überall ausführlich aus dem 1500 Seiten umfassenden Manifest des Attentäters zitiert und es werden Ausschnitte aus seiner Erklärung bei der ersten Anhörung vor Gericht vorgelegt, in denen er seine Motive klar und deutlich offenbart. Zusätzlich werden Hintergründe recherchiert, etwa über Norwegens Ausländerpolitik berichtet oder die rechtsextreme Szene in Skandinavien beleuchtet. Das scheint jedermann sofort zu wissen: Die Gedanken, die seine Motive ausmachen, hat er nicht erfunden; er weiß sich da einig mit rechten Gruppierungen, die Ähnliches denken wie er, und außerdem reagiert auf die norwegische Ausländerpolitik. Den text von Freerk Huisken bitte hier weiterlesen.

Dienstag, 19. Juli 2011

Wenn das milchmännchen zweimal rechnet

Im fernen südwesten unserer mäßig schönen republik hat sich die LpB (landeszentrale für politische bildung Baden Würtemberg) für das wahlfaule volk etwas einfallen lassen: Beim »Zweiten Freiburger Bildungsüberfall« sollen die bewohner des stadtteils Freiburg-Weingarten für die demokratie wachgerüttelt werden.
Wenn ich den text durchlese, stelle ich fest, daß in Baden-Würtemberg offenbar nicht die selben gesetze gelten wie in Berlin. 

Zitat: Wie selbstverständlich erscheint uns heute ein Leben in Freiheit. Frei von Bedrohung, Bevormundung, staatlicher Gängelung. Frei von Angst und Zwang.
Wenn ich nicht wüßte, daß es in BW marode AKWs und demnächst wahrscheinlich auch eine milliardenschwere bauruine gibt, käme ich fast auf die idee, ein asylgesuch zu schreiben. Die meisten menschen, die ich kenne, merken nichts vom »leben in freiheit«. Die leben in ständiger angst: Die arbeit zu verlieren, die miete nicht bezahlen zu können, vom »jobcenter« die nächste unterbezahlte arbeitsstelle aufgedrückt zu bekommen, die nicht abgelehnt werden kann. Eher wird der zwang als selbstverständlich hingenommen, weshalb er manch einem schon als freiheit erscheint: »die arbeit schmeckt mir gar nicht, aber ich habs noch vergleichsweise gut getroffen« denken die leute und freuen sich, daß »diesmal ja wenigstens ein teekocher« am arbeitsplatz zur verfügung gestellt wird.

Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Wahlrecht und Menschenwürde sind keine Selbstverständlichkeit auch und gerade in Deutschland.
Wenn man hier an die aktuellen entwickungen »auch und gerade« in Deutschland denkt, fällt einem auf, daß man in der BRD noch nie hat sagen dürfen, was man von diesem saustall hält - und erst recht nicht auf arbeit. Sagen darf man es schon, es hat »bloß« materielle konsequenzen. In diesem system muß man nicht bedroht werden, daß man abgeholt und eingesperrt wird, wenn man nicht das richtige sagt. Eingesperrt ist man schon - und wenn man auf die idee kommt, etwas zu sagen, daß bestimmte ohren nicht hören wollen, dann wird es schlimmer, weil man seine materielle lebensgrundlage entzogen bekommt.

Mit »...und gerade auch in Deutschland.« ist das aber überhaupt nicht gemeint und auch nicht die immer stärkere einschränkung, beispielsweise der versammlungsfreiheit, sondern es wird die vergangenheit auf grausamste weise in einen topf gemanscht. Und weil die demokratie über alles erhaben ist, wird mit keinem wort erwähnt, daß zu jener zeit in der sauberen BRD die regimekritiker reihenweise eingesperrt, bestraft oder mit berufsverboten belegt wurden.

Und um zu beweisen, wie gut die demokratie ist, dann ausgerechnet ein zitat Winston Churchill:

»wenn es morgens um sechs an meiner tür läutet und ich kann sicher sein, daß es der milchmann ist, dann weiß ich, daß ich in einer demokratie lebe.«
Tatsächlich hat Churchill Hitler gehaßt - aber nicht, weil er was gegen die unterdrückung anderer völker gehabt hätte. Hitler stand den imperialistischen interessen Großbritaniens im wege, weshalb zähneknirschend die Sowjetunion unterstützt wurde.

Er hat auch gesagt »demokratie ist die schlechteste aller regierungsformen. Ausgenommen alle anderen.« So widerwärtig einem dieser mensch sein kann, der am liebsten nach dem ende des Zweiten Weltkrieges sofort einen neuen krieg vom zaun gebrochen hätte, weil man mit Hitler »die falsche sau geschlachtet« habe (die folge war die gründung der NATO und der Kalte Krieg). Dumm war er nicht.

Der Churchill hat gewußt, daß wenn man nicht so enden möchte wie der russische zar, es besser ist, dem volk die illusion zu geben, daß es mitbestimmen könne - damit man hinterher sagen kann »ihr habts doch so gewollt!«

Ich kenne niemanden, der im bezirk Freiburg-Weingarten lebt, ein morgendliches wachrattern wegen geringer wahlbeteiligung als »bildungsüberfall« zu bezeichnen ist übertrieben. Wahrscheinlich haben die leut gut begriffen, was sie hier im staat ausrichten können und tun dann eben genau das. Absolut konsequent und richtig.

Liebe LpB! Wenn es bei denen an der tür klingelt, kommt da normalerweise nicht der »freiheitsbote« mit milch oder guten gaben, sondern der kontrolleur vom amt, der gerichtsvollzieher, der vermieter, der die austehende miete eintreibt oder andere unangenehme gäste. Ihr »aufrechten demokraten« werdet nicht müde, die herrschaftsform, der Ihr Euch unterzuodnen habt zu loben, auch wenn die rechnung nicht aufgeht.

»Freiheit beginnt an der Haustür« (zitat aus dem Flyer) - und endet am fabriktor.