Samstag, 14. Mai 2016

Rechtsruck und Afd. Wer ist Schuld? Die DDR!

Immer wieder liest man, am heutigen rassismus und der ausländerfeindlichkeit, dem rechtsterrorismus, den dauerlatschenden pegidisten und der AfD sei die politik der DDR schuld.

Beispielsweise schrieb der Helmut Wiesenthal (der ist da leider keinesfalls allein, aber ich möchte ein halbwegs aktuelles beispiel nennen) neulich in seinem blog, die AfD sei »aus dem geiste der DDR«. Um es nicht zu sehr auszuweiten, möchte ich an dieser stelle nur auf einen absatz aus seinem artikel eingehen.

Der gesamte nationalistische blödsinn käme aus dem SEDregime und alles übel der Deutschtümelei sei allein der DDR anzulasten:
Zitat Helmut Wiesenthal:»Der dritte Ursachenfaktor für die überraschende Stärke der rückwärts gewendeten Bewegung ist dem SED-Regime und seiner dumpf-nationalistischen Gesellschaftspolitik anzulasten.«
Sicher ging es in der DDR nationalistisch zu. Das ist ein ding, was mich an ihr befremdet hat. Allerdings ist das kein merkmal, das im westen so gar nicht vorgekommen wäre und gegen den staat sollte man auch dort schon gar nicht sein.
Zitat Helmut Wiesenthal:»Die (seit dem Mauerbau 1961) buchstäblich eingesperrten DDR-Bürger waren nicht nur an eigenen Erfahrungen mit anderen Kulturen, Entwicklungen und dem Optionenspektrum offener Gesellschaften gehindert, sondern wurden zusätzlich mit dezidiert nationalchauvinistischen Parolen und verlogenem staatlichen Selbstlob berieselt.«
Selbstlob kam im westen zum glück gar nicht vor, im schulunterricht wurde man selbstverständlich nicht damit berieselt, daß man im besseren, weil freien teil Deutschlands lebt, damit man den staat gut findet und notfalls für ihn in den krieg zieht.

Und auch heute noch sieht man klar, daß der westliche staat die probleme mit der versorgung mit bildung und von kindern, kranken, alten, ausländern ganz großartig meistert, ohne sich je dafür selbst zu loben. Und brandanschläge auf (geplante) asylantenheime kommen im westen auch nicht vor.

Nationalchauvinistisch. Schmuckes wort. Allerdings ein pleonasmus. Chauvinismus ist immer nationalismus, weshalb man sich diese steigerung getrost schenken kann.
Zitat dtv-Brockhaus»Chauvinismus - übersteigerter und blinder Patriotismus, der den Nationalismus bis zur Mißachtung fremder Rechte steigert.«
Die DDR wollte der bessere Deutsche staat sein. Die DDR hat unter mißachtung jedweden rechtes anderer 1989 in fremdes gebiet hineinregiert, hat sich nicht an das recht gehalten, um ihre interessen durchzuprügeln. Oder war es vielleicht ein anderer staat, der sich damals widerrechtlich in die inneren angelegenheiten der DDR eingemischt hat?
Zitat Helmut Wiesenthal:»Auf diesem Nährboden überlebten nicht nur Sprachbilder und Denkweisen des Nazi-Rassismus, sondern es entstand ein hohes Niveau an Deutschtümelei samt dem Spiegelbild weithin geteilter Xenophobie.«
»Sprachbilder und denkweisen« sind natürlich eine sache. Und wörter zu verbieten hat bekanntermaßen schon immer was gebracht. Seit das wort »neger« als unschicklich gilt, werden Afrikanischstämmige menschen nicht mehr diskriminiert oder verdroschen. Und seit ich meinen berufsbezeichnungen die weibliche endung »in« anhängen darf, werde ich genau so gut bezahlt wie ein mann und bekomme sofort einen posten im aufsichtsrat.
Zitat Helmut Wiesenthal: »Davon wussten u.a. Afrikaner und Polen zu berichten.«
Ach, tatsächlich.

Zu meiner schulzeit in den gab es an der schule eine clique, die beschlossen hatte, mit der menschlichkeit schluß zu machen. Diese typen fanden es cool, gewaltverherrlichende musik zu hören, ausländer, linke oder behinderte zu klatschen oder ihnen zumindest zu drohen. Von den lehrern wurde das problem kleingeredet: wenn es angesprochen wurde, daß ausländer verprügelt werden oder ihnen zumindest mit prügel gedroht wird, wurden die opfer zu tätern gemacht. Dann wurde gesagt, die haben sicherlich provoziert, denn allein aus fremdenhass oder menschenhass allgemein wird bekanntermaßen niemand übergriffig. Das war natürlich in der DDR.

Hessen.
Zitat Helmut Wiesenthal: »Wie wenig der proklamierte Internationalismus tatsächlich das Denken bestimmt, enthüllte kürzlich die Linken-Fraktionsvorsitzende Wagenknecht, als sie in Reaktion auf die eingewanderten Flüchtlinge eine Besserstellung deutscher Sozialhilfe- und Rentenempfänger forderte.«
Das sagt sie nicht, weil sie aus der DDR kommt, sondern weil sie sich mit der nationalistischen menschensortiererei abgefunden hat und das bescheuerte nationale gerechtigkeitsempfinden ansprechen möchte. Unter freunden der nation ist es ziemlich weit verbreitet, es als ungerecht zu empfinden, wenn ausländer und einheimische gleich mies behandelt werden und man fühlt sich gleich viel besser, wenn ausländer noch beschissener behandelt werden als man selbst.

Rassismus ist eben nicht die folge des DDRstaates, der übrigens auch keine rassistische staatsdoktrin hatte, sondern kommt womöglich eher daher, wenn die menschen sich von ihrem staat, aus welchen gründen auch immer, schlecht behandelt fühlen.

Bei der letzten »mitte-studie« der Uni Leipzig wurde herausgefunden, daß die Bayern ausländerfeindlicher sind als die menschen in Meck-Pomm, Thüringen, Brandenburg und Sachsen. In puncto antisemitismus sind die Bayern sogar Deutschlandweit führend, die wenigsten antisemiten gibt es erstaunlicher weise in Brandenburg und Sachsen.

Es ist also anzuzweifeln, daß die DDR »schuld« an der AfD sei. Nicht die damaligen verhältnisse treiben die leute an, sondern die heutigen.

8 Kommentare:

  1. MM, sehe ich genau so. Der verdreckte Zeitungeist liefert den Treibstoff für so etwas wie AfD und ähnliche Kotzvorlagen. Als ob hier im alten Westen nicht genau so Viele auf diesen Driss hereinfallen täten. Die Neolib-Propaganda hat bundesweit eine Rekordernte eingefahren …

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    1. ... und leider ist neolib mit faschismus wesentlich besser vereinbar als der realsozialismus es je war.

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  2. Die Welt ist komplex und es gibt keine einfachen Erklärungen. Der größere Antisemitismus in Bayern erklärt sich zB sicher zum Teil aus dem dort verbreiteten Katholizismus (der den Juden am Leiden Christi die Schuld gibt). Ebenso kann der nationalistische Grundton und die Abkapselung der DDR zur Situation beigetragen haben. Aber sicher auch der Frust der der ersten Euphorie der Wiedervereinigung folgte. Arbeitslosigkeit und HARTZ IV statt "blühender Landschaften"....

    Letztlich kann dem einzelnen Menschen die Verantwortung für sein Handeln nicht abgenommen werden. Aller Sozialisation zum Trotz ist jeder für sich ein denkendes und fühlendes Individuum das sich weiterentwickeln kann und muss.

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    1. Völlig richtig, jeder ist für sein denken selbst verantwortlich. Der mensch ist kein »Lorenzsches gänschen«, das einmal geprägt wird und dann nicht umdenken könnte. Rassismus kommt nicht »vom totalitären staat«, sondern vom falschen denken. Der ausländerfeind denkt sich »wenn die ausländer nicht hier wären, hätten alle Deutschen arbeit« und so ein zeug, daß es aber der Deutsche staat ist, den er ja so toll findet, der ihn überhaupt erst in konkurrenz zu allen anderen insassen des staates setzt, will ihm nicht einleuchten.

      Natürlich kann man aus frust über arbeitslosigkeit oder abstiegsängsten rechts werden, man muß aber nicht. Natürlich kann man leuten, die nichts damit zu tun haben, die schuld an der eigenen misere geben. Genau so gut kann man sich gedanken darüber machen, wie der ganze »laden« hier organisiert ist und dabei feststellen, daß »die ausländer« das gleiche interesse an einem vernünftigen leben haben wie man selbst. Und ob man sich für die eine oder andere variante entscheidet, steht einem wirklich frei. Und das war in der DDR nicht anders.

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  3. Zur Entwicklung des Rechstextremismus in Ost und West nach der Wiedervereinigung

    "Festzustehen scheint jedoch, dass die Einstellungen im Osten im Laufe der letzten 15 Jahre sich stark verändert haben: So hatte Falter (2000) noch 1994 deutlich stärkere rechtsextreme Einstellungen im Westen gefunden. Bereits 1998 hatte der Osten jedoch aufgeholt. Auch waren rechte Parteien zunächst im Westen erfolgreicher (1990 und 1994)... .

    In Bezug auf unterschiedliche inhaltliche Schwerpunktsetzungen scheint es so zu sein, dass im Osten im Vergleich zum Westen eine ökonomisch motivierte Fremdenfeindlichkeit überwiegt (Stöss 1999)
    während Antisemitismus im Westen ausgeprägter ist - ..."
    Zitiert aus:
    Birgit Rommelspacher
    Rechtsextremismus in Ost und Westdeutschland im Vergleich

    Wobei für mich bisher nicht geklärt ist (vielleicht wird das bewusst ausgeblendet), welchen Anteil die demokratischen Institutionen an der Bildung rechtsextremer Einstellungen haben.

    Helmut Wiesenthal macht es sich mit seinen "Wahrheiten" sehr einfach. Als Soziologe und Politologe sollte er gewissenhafter argumentieren.

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    1. Hallo Troptard,

      danke für diesen beitrag. Ich habe vor einigen jahren eine ard-doku gesehen, in der berichtet wurde, daß der verfassungsschutz maßgeblich am aufbau rechter netzwerke im osten beteiligt war. Leider habe ich die bei youtube nicht gefunden.

      Ich sehe ein problem darin, daß auch demokratische linke meist nicht wirklich wissen, welchen inhalt die faschistische ideologie eigentlich hat und deshalb unfähig sind, dagegen zu argumentieren. Es ist ein falsches urteil über faschisten, daß sie einfach bloß so dumm wären, Adolf Hitler gut zu finden. Die gibt es nicht, weil es den Hitler gegeben hat, sondern weil sie über den heutigen zustand des staates nachdenken und in der demokratie lauter defizite entdecken.

      Leider macht es sich nicht nur der herr Wiesenthal mit seiner aussage »x ist die folge von y« zu einfach, sondern im grunde die mehrheit der demokraten, die einfache antworten auf schwierige fragen möchte.

      Einfache antworten wären zwar gut, nur gibt es die nicht.

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  4. Hallo, Mechthild Mühlstein hat leider nicht erwähnt, dass ich in meinem Blog zum AfD-Grundsatzprogramm 3 (drei) Faktoren für den Aufstieg der AfD verantwortlich mache; in der DDR beobachtbare (keineswegs allgemein geteilte) Denktraditionen sind nicht als Hauptursache, sondern als dritter Faktor erwähnt.
    Der erste Faktor "ist die Veränderung des Parteiensystems, zuerst durch die Grünen, dann durch PDS/Linke und die vom Westen abweichende Wählerschaft im Osten. (...) Merkels Projekt der Austrocknung des sozialdemokratischen Wählerreservoirs machte diese Wähler führungslos, überließ sie dem eigenen volatilen Missmut – und machte sie für das Parteiprojekt der Euro-Kritiker um Bernd Lucke verfügbar."
    Und "Ursachenfaktor Nummer zwei findet man allem Anschein nach in dem zur EU-Krise ausgewachsenen Euro-Debakel. Es sind nicht nur die objektiven Missstände in der Regulation der gemeinsamen Währung, der vermeintlich allein von Griechenland verursachten milliardenschweren Bankenrettung, und schließlich der Zusammenbruch EU-interner Kooperation bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Erst vor dem Hintergrund des überlauten Europa-Gedöns, an dem buchstäblich alle demokratischen Parteien – von der CSU bis zu den Grünen und den Linken – Anteil hatten, kam es zur schockhaften Frustration, dass „mehr Europa“ zumindest temporär auch mehr Probleme und weniger Lösungen bedeutet."
    Soviel nur zur Einordnung meiner AfD-Diagnose. Mit freundlichen Grüßen, Helmut Wiesenthal.

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    1. Lieber herr Wiesenthal,

      nein, ich habe in bezug auf Ihren artikel nichts vergessen. Im obenstehenden text schrieb ich ganz zu anfang, daß ich auf einen absatz aus Ihrem artikel eingehe. Und wenn das zitat dann mit dem dritten ursachenfaktor losgeht, denke ich schon, meine leser sind imstande zu erkennen, daß in Ihrem artikel auch noch andere faktoren genannt werden. Ob die nun mehr taugen oder nicht, sei mal dahingestellt.

      Mir ging es hauptsächlich um die zwar nicht allgemein anerkannte aber trotzdem weit verbreitete behauptung, die ossis hätten insgesamt einen hang zum rechtsdrall, weil ihnen in der DDR ein »dumpfer nationalismus« eingetrichtert worden wäre und die somit auch kaum anders könnten.

      Ihre argumentation ist in dem artikel überhaupt nicht schlüssig. Sie schreiben unter dem titel »Republik aus dem Geiste der DDR« darüber, daß die AfD eine »zeitreise in die 60er jahre« vorhabe und erwähnen beispielsweise die illiberalität gegenüber allem möglichen, beipielsweise auch »außerfamiliären frauenrollen«. Ja, bis in die späten 60er jahre mußten frauen ihre ehemänner fragen, ob sie arbeiten dürfen oder ein eigenes bankkonto haben. Allerdings nicht in der DDR. Das war im »freien« westen. Für frauen bot die DDR vergleichsweise gute bildungs- und berufsmöglichkeiten. Die waren alles andere als auf häusliche rollen festgelegt.

      Ist Ihnen eigentlich nicht aufgefallen, daß nur drei landesverbände ost-sozialisierte vorsitzende haben? Wenn an der behauptung, die AfD sei aus dem geist der DDR hervorgegangen, etwas dran wäre, dann hätte es eine invasion von ost nach west geben müssen und nicht umgekehrt!

      Die von Ihnen behaupteten »denktraditionen« gibt es nicht. Die leute ziehen ihre schlüsse nicht daraus, was vor 27 jahren war, sondern daraus, wie es ihnen jetzt geht.

      Daß die Merkel das »sozialdemokratische wählerreservoir« ausgetrocknet hätte, kann man ebenfalls getrost unter »ulk« verbuchen. Die sozialdemokratie hat sich mit figuren wie Schröder, Clement, Sarrazin und dergleichen selbst ausgetrocknet.

      Mit freundlichen Grüßen,

      Mechthild Mühlstein

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