Freitag, 19. Dezember 2014

Ballade von der gebrochenen Zinsknechtschaft

von Erich Weinert, 1932

Der Herr Gerichtsvollzieher erschien
Beim kleinen Landwirt Mosenthien
Und klebte an die letzte Kuh
Sein Vögelchen und sprach dazu
»Das nächste Mal, wie Sie wohl wissen,
Werd ich das Haus bekleben müssen!«

Herr Mosenthien nahm seinen Hut
Und ging hinaus aufs Rittergut
Der Herr von Zitzow ist ein Mann,
Der, weil er Geld hat, helfen kann.
Auch ist der Mann ein Naziführer
Und deshalb gegen Halsabschnürer.

Der Herr von Zitzow fragte ihn:
»Was brauchen Sie, Herr Mosenthien?
Pro forma nehme ich als Pfand
Ihr Haus und Vieh und Ackerland.
Ein Hitlermann, wie Sie hier sehen,
Läßt keinen Landmann untergehen!«

Doch als die Frist verstrichen war,
Kam Zitzow mit dem Hausnotar
Und sagte: »Lieber Mosenthien,
Ihr Haus zu schützen vorm Ruin,
Muß ich’s dem Gute einverleiben
Sie wollen bitte unterschreiben!«

Da hat der Mosenthien gegafft!
»Sie sind doch gegen Zinsknechtschaft!«
»Sehr richtig!« sprach der Hitlermann.
»Damit man’s nicht versteigern kann,
Und Zinshyänen danach gieren,
Will ich’s für mich expropriieren!

So rett ich Sie vor dem Ruin!
So kommen Sie, Herr Mosenthien,
Mit keinem Gläub’ger in Konflikt,
Sind nicht von Zinsknechtschaft bedrückt!
Und Wohnung geb ich Ihnen gerne.
Es ist noch platz in der Kaserne.«

Doch Mosenthien der dieses Glück
Nicht recht begriff, nahm einen Strick
Und hängte in der Nacht darauf
Sich am Gemeindehause auf.
Weshalb entfloh er wohl als Leiche
So dicht, so dicht vorm Dritten Reiche?

1 Kommentar:

  1. Manchmal bekomme ich dieser Tage Angst. Angst davor dass sich eines Tages Neonazis, PEGIDA, AfD, CSU... und wie sie alle heissen zusammenschalten könnten.

    Nachdem Politiker nun die Ängste der Dummen und Verführten ernst nehmen; gibt es irgendwo einen Politiker der meine dumme Angst ernst nimmt?

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