Donnerstag, 16. Oktober 2014

Friedensnobelpreis für kinderrechte

Fünfundzwanzig jahre nach der verabschiedung der UN-kinderrechtskonvention erscheint es erfreulich, daß zwei menschen, die sich für kinderrechte einsetzen den friedensnobelpreis erhalten, Kailash Satyarthi und Malala Yousafzai.

An sich sieht es wie ein fortschritt aus, daß der friedensnobelpreis in diesem jahr mal nicht an kriegstreiber wie Obama oder die EU geht, sondern an tatsächlich friedfertige menschen. Allerdings sehe ich das mit den kinderrechten nicht so positiv, wie die meisten zeitgenossen das tun. Mir ist dazu sofort ein fünf jahre alter text von Freerk Huisken eingefallen, den ich nach wie vor richtig finde. Auf seiner internetseite findet man unter »lose texte« neben diesem auch noch andere lesenswerte texte zum herunterladen.

Weil nicht jeder texte im .doc format herunterladen möchte, habe ich mich entschlossen, den text in all seiner länge zu zitieren, ich habe daran nur einen offensichtlichen tippfehler bereinigt, die hervorhebungen des authors ins html-format übertragen und typographische richtige anführungszeichen eingefügt.



Freerk Huisken, Bremen 2009
Anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention am 20.11.1989

Kritik der Kinderrechtsbewegung:
Kinder brauchen nichts weniger als Rechte


1.Nimmt man sich einmal die Liste der Kinderrechte vor – seien es die 41 Artikel der Uno-Kinderrechtskonvention oder die Liste der 10 wichtigsten Kinderrechte, wie sie von Kinderrechtsaktionsgruppen zusammengestellt worden sind -, dann kann man sich einem beklemmenden Gefühl schwerlich entziehen. Nicht wegen der darin zusammengetragenen Rechtsansprüche, sondern wegen der in den Rechtsansprüchen aufgelisteten physischen und psychischen Misshandlungen, Drangsalierungen und Beschädigungen, der in ihnen aufgezählten Formen von Unterdrückung und Ausbeutung, der Kinder weltweit ausgesetzt sind. Man muss dafür die Kinderrechte eben nur als das lesen, was sie sind, als verbale Zeugnisse des äußerst rohen und rücksichtslosen Umgangs mit Kindern: Wenn in Kinderrechten gefordert wird, dass Kinder gesund leben und ihre Krankheiten medizinisch versorgt werden sollen, dass niemand sie schlagen, misshandeln oder sexuell missbrauchen darf, dass sie am Gebrauch von Suchtstoffen gehindert werden müssen und ihnen Leistungen der Sozialversicherungen nicht vorenthalten werden dürfen, dass sie vor Ausbeutung, Prostitution, Kinderhändlern und vor Verwendung als Kindersoldaten geschützt werden müssen usw., dann wird festgehalten, dass genau das mit ihnen angestellt wird. Warum sollten Kinderrechtsaktivisten auch sonst die Unterlassung von all dem fordern?

Diese noch unvollständige Aufzählung gibt bereits über so Einiges Auskunft. Zum ersten: Wer solcherart Rechte einfordert, der geht, so mag man erst einmal festhalten, zwar von der guten Absicht aus, all dies – wenigstens - den Kindern vorzuenthalten, der weiß aber zugleich, dass er sich solcherart Misshandlungen nicht ausdenken musste, sondern dass er sie dem realexistierenden Umgang mit Kindern weltweit entnehmen kann und zwar nicht nur dem in der sogen. »Dritten Welt«, sondern auch dem Umgang mit Kindern in den kapitalistischen Metropolen – also auch in Deutschland. Zweitens formulieren diese Listen mit all ihren guten Absichten bei Lichte besehen nichts Außergewöhnliches, stellen keine besonderen Ansprüche dar, sondern fordern nur Selbstverständliches. Eigentlich, so sollte man meinen, sind doch medizinische Versorgung und Schutz vor Missbrauch und Ausbeutung von Kindern so etwas wie die Minimalstufe eines anständigen Umgangs – nicht nur - mit Heranwachsenden, selbstverständlich eben. Weswegen es drittens schon verwundern kann, dass es zu deren Durchsetzung langer und aufwendiger Kampagnen, internationaler Konferenzen mit langem Streit über Formulierungen von Schutzartikeln und der Intervention durch Staatsgewalten bedarf, damit diese Anliegen - ja was eigentlich genau: durchgesetzt werden, Aufmerksamkeit finden, Rechtsform erhalten...? Es muss deswegen viertens der Schluss gezogen werden, dass der eingeklagte Umgang mit Kindern alles andere als selbstverständlich ist, es vielmehr offenkundig in vielen Ländern »gute Sitte« und gewohnheitsmäßige Praxis ist, wenn es nicht gar als politische, militärische oder ökonomische Notwendigkeit gilt, Kindern solche Behandlungen angedeihen zu lassen; sie zu Kinderarbeitern, Kindersoldaten, Kinderprostituierten abzurichten, ihnen dabei nicht etwa nur alles vorzuenthalten, was Kinder für ein einigermaßen gedeihliches Aufwachsen benötigen, sondern sie umstandslos als lebendiges und unverbrauchtes Material schlimmer gesellschaftlicher Zwecke, nicht selten mit der Konsequenz seelischer oder körperlicher Verkrüppelung oder gar mit Todesfolge zu verheizen.

2. Vieles von dem lässt sich auch an der Art und Weise aufzeigen, in der hierzulande mit Kindern umgegangen wird. Aber dabei bleibt es nicht.
Zwar rennt man mit der Formulierung einiger Rechte für Kinder, so wie sie in Kinderrechtschartas stehen, hierzulande offene Türen ein. Hier sind Gewalt gegen Kinder und Kindstötung, sexueller Missbrauch und Kinderausbeutung, Kindsverwahrlosung und Drogen-, Tabak- und Alkoholverkauf an Kinder unter Strafe gestellt; auch darf man Kinder nicht verkaufen oder zur Prostitution zwingen, sie nicht zu Dealern oder Taschendieben abrichten. Was, wie gesagt, darauf verweist, dass es auch in der zivilisierten deutschen Demokratie Gründe gibt, solche Straftatsbestände zu formulieren. Sie verweisen erneut auf nichts anderes, als dass auch hier solch ein Umgang mit Kindern vorkommt und dass es sich dabei nicht um singuläre Tatbestände handelt – sonst müsste man all das nicht verbieten. Ein Blick in die Zeitungen offenbart zudem, dass alle nur vorstellbaren Ekligkeiten und Gemeinheiten von Erwachsenen im Umgang mit Kindern auch in deutschen Landen an der Tagesordnung sind.

Aber daneben gibt es hierzulande zusätzlich eine ganze Reihe von der Drangsalierungen und Beschädigungen von Kindern, die mitnichten verboten sind: Ganz offen wird - erstens - der Sachverhalt der Kinderarmut vermeldet. Die ZS ›Die Grundschulzeitschrift‹ widmete 12/2007 dem Thema ein sogar ganzes - ziemlich unsägliches - Heft. Offizielle Statistiken errechnen, dass in Deutschland zwischen 12% und 22% aller Kinder unter die Kategorie der »Kinderarmut« fallen , d.h. selbst nach den äußerst problematischen Maßstäben des Statistischen Bundesamtes bzw. von Armutsforschern nicht unter Verhältnissen aufwachsen, in denen so etwas wie ausreichende, regelmäßige Mahlzeiten, hinreichende Kleidung und befriedigende Wohnverhältnisse gegeben sind. Dass Kinderarmut nicht vom Himmel fällt, sondern das »Abfallprodukt« von Erwachsenenarmut ist, zeigen diese Statistiken gleich mit auf, wenn sie von den Eltern vermelden, dass sie mehrheitlich zu den Hartz-IV-Empfängern gehören oder wenn sie Singles in prekären Arbeitsverhältnissen überdurchschnittliche Zahlen von Kinderarmut zuordnen. Zum beliebten Unterhaltungsthema im deutschen Fernsehen hat es - zweitens - eine Form von Beschädigung gebracht, die sich als das Produkt »zerrütteter Familienverhältnisse« präsentiert: die Kinderverrohung. Supernanny führt dem deutschen Publikum vor, wie »überforderte« Eltern aus den berühmten »bildungsfernen Schichten« vor ihren Kindern kapitulieren, die es in kurzer Zeit zu echten Widerlingen gebracht haben, denen Vandalismus, der Griff ins elterliche Portemonnaie, Gewalt gegen Eltern und Ignoranz notwendiger Regeln im familialen Zusammenleben völlig selbstverständlich ist. Es ist natürlich kein Zufall, dass sich diese Beschädigungen an den Kindern - drittens - in der Schule fortsetzen. Diesmal sogar weit entfernt davon, wenigstens als Skandal verbucht zu werden, schafft es die als Sortierungsanstalt organisierte Schule hierzulande, die Mehrheit des Nachwuchses im Kindesalter von weiterführender Bildung auszuschließen. Diese mit System betriebene Kinderverblödung, vornehm »Bildungarmut« genannt – ca.25% der Kinder gehören nach PISA I zu den funktionalen Analphabeten – wird national nur dann registriert, wenn darüber Deutschland im internationalen Bildungsranking hintere Plätze einnimmt oder die Kindersortierung zu offensichtlich alle Ideale von Chancengleichheit blamiert. Viertens ist in der Schulzeit obendrein ein gebilligter und medizinisch abgesegneter spezifischer Drogengebrauch immer häufiger an der Tagesordnung. Das Verschreiben von Ritalin für Kinder, bei denen schnell ADHS diagnostiziert wird, wenn sie es an der schulisch gebotenen Aufmerksamkeit und Unterwerfungsbereitschaft fehlen lassen, gilt geradezu als pädagogisch notwendig. Kinder werden so ruhig gestellt - in Schule und Elternhaus. Nebenwirkungen wie Gewichtsabnahme und Apathie werden in Kauf genommen. Die auf die eine oder andere Restschule abgeschobenen Schüler, die sich früh die Karriere in der kapitalistischen Arbeitswelt abschminken können und auf Hartz-IV, die Großfamilie oder eine Karriere als Kleinkriminelle setzen, erfahren - fünftens - den schulischen Ausschluss noch im – offiziellen – Kindesalter als Einstieg in lebenslange materielle Depravierung, d.h. als die Aussicht, der Sozialkarriere ihrer Eltern folgen zu dürfen. Auch Kinderarbeit ist - sechstens - hierzulande erlaubt, soweit sie den Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes entspricht. Das erlaubt deswegen das Arbeiten von Menschen ab dem 15. Lebensjahr, weil die hiesige Definition von Kindheit die der UNICEF glatt um drei Jahre unterbietet. Schließlich ist es - siebtens - immer noch gestattet, Kinder armer Leute, denen nicht die Gnade der deutschen Geburt teilhaftig geworden ist, in jene »Heimat« abzuschieben, aus der ihre Eltern mit guten Gründen geflohen sind. Auf diesem Vorbehalt hatte die deutsche Regierung 1992 bestanden, als sie die Kinderrechtskonvention paraphierte. Und letztlich ist - achtens - jene Sorte militärischer »Kollateralschäden«, die in Kindstötung bestehen, gleichfalls nicht unter Strafe gestellt. Die »unschuldigen Opfer unter der Zivilgesellschaft« werden zwar regelmäßig - wie jüngst bei der Bombardierung von Tanklastzügen - öffentlich betränt, doch ist den für Kriege, die nicht so genannt werden dürfen, zuständigen Ministern klar, dass überall dort wo gehobelt wird nun einmal Späne fallen. Und wie sollen »unsere Jungs in Afghanistan« denn auch zwischen »unschuldigen Kindern« und zivil maskierten Kindersoldaten der Taliban unterscheiden!

Verboten sind diese hier aufgezählten Kinderkarrieren mit all ihren rohen, schädlichen und verblödenden Begleitumständen bzw. aussichtslosen Perspektiven in dieser Gesellschaft nicht. Wie auch, gehören sie doch zur Klassengesellschaft dazu. In der braucht es arm gehaltene Menschen fürs nationale Wachstum und zugleich den Nachwuchs, der dann in entsprechenden Verhältnissen aufwächst. Teile von ihm werden dann schon im Jugendalter in unbrauchbare Armut – Prekariat genannt - entlassen, andere dürfen sich, zusammen mit den ausländischen Kollegen an Arbeitsplätzen um Verdienst bemühen, an denen ihre »Bildungsarmut« nicht stört. Von der Politik durchgesetzte, wachsende Volksverarmung ist folglich der letzte Grund der hier aufgezählten Beschädigungen an Kindern und Heranwachsenden, an denen die Politik zudem nie diese selbst, sondern immer nur deren Auswirkungen auf die nationale Ordnung stören – wie gleich noch näher ausgeführt wird.

3. Doch damit nicht genug: Es gibt einen guten Grund, sich zusätzlich einmal die Frage vorzulegen, welche Stellung die demokratischen Herrschaft zu dem nationalen Nachwuchs insgesamt einnimmt. Ihre Sorge um »das Kind« verrät, dass ein anderes Wohl im Vordergrund steht, wenn vom »Wohl des Kindes« die Rede ist. Denn wenn in demographisch ambitionierten Traktaten davor gewarnt wird, dass »wir Deutschen aussterben«, wenn Kampagnen mit dem Motto »Mache dich unsterblich« Männer zur Kinderproduktion anregen wollen, wenn es Nachwuchsprämien in Gestalt von – nein, nicht von Mutterkreuzen, sondern von - Kindergeld gibt, das die Familienministerin übrigens kürzlich so umgestaltet hat, dass von ihm nicht nur die sozial-depravierten Schichten »profitieren«, dann ist damit hinreichend belegt, dass hierzulande Kinder aller Klassen und Schichten als notwendiges zuschüssiges Volksmaterial gelten, angefordert werden und später so oder so gefordert werden. Sie werden gleich nach ihrer Geburt als Teil des Staatsvolks registriert und als Material des Staates für diverse Fronten verplant. Denn Größe und Erfolg des deutschen Nationalstaats in Konkurrenz zu anderen Staaten sind immer auch eine demographische Frage. Nachwuchsproduktion ist deswegen nationaler Dienst und die Familie die Keimzelle des Nation. Die Rede vom »Wohl des Kindes« bleibt einem schon wieder im Halse stecken, erst recht, wenn auch seine Verfechter, wie etwa das »Aktionsbündnis Kinderrechte« die »Zukunftsfähigkeit der deutschen Gesellschaft angesichts sinkender Kinderzahlen« als Argument für Kinderrechte bemüht.

Wenn die deutsche Politik eine Kinderrechtskonvention der UNO verabschiedet hat, in der die »Verpflichtung auf das Wohl des Kindes« einen hohen Stellenwert besitzt, dann passt das dennoch, aber nur so zusammen: Das Wohl der Kinder gilt, aber eben nur und nur soweit wie diese dadurch in die Lage versetzt werden, ihre zukünftige Funktion als tragende Teile des Staatsvolks im eingerichteten demokratischen Kapitalismus qualitativ und quantitativ erfüllen zu können. Nur deshalb sollen sie auch nicht zu früh, d.h. nicht schon als Kinder verschlissen und unbrauchbar gemacht werden – wenigstens nicht in zu großer Zahl. Ihr Wohl buchstabiert sich folglich so: Sie haben sich in der Familien- und Schulerziehung als »mündige Staatsbürger« und für etliche nachgefragte Jobs zu qualifizieren, d.h. sie müssen sich geistig, moralisch und körperlich darauf vorbereiten (lassen), aus freien Stücken – also ohne Vormund – an den diversen Plätzen der Gesellschaft, als Lehrer und Lagerist, als Professorin und Friseurin, als Hausfrau und Soldat, als Chefarzt und kleine Angestellte ihre Dienste für das Gelingen des global angelegten Projekts »Deutschland« zu leisten. Und das schließt ein, dass später, wenn sie erwachsen sind, so ziemlich all das mit ihnen angestellt werden darf, wovor sie als Kinder hierzulande möglichst noch verschont werden sollten: Sie dürfen ausgebeutet werden und »dürfen« sich dafür selbst lebenslang als Arbeitskräfte verkaufen – einschließlich aller ruinösen Folgen. Diese Variante von Menschenhandel gilt bekanntlich als Gütezeichen von Marktwirtschaft. Erwachsene dürfen Drogen nehmen, damit Armutsfolgen zu kompensieren versuchen und sie dürfen sich prostituieren. Ihre geistige Verrohung, kräftig gefördert von Presse, Funk und TV, ist, gerade wenn sie Soldaten werden – was sie dann auch dürfen – gefragt; eignet sich aber auch fürs Aushalten von 40 Jahren Fabrikarbeit. Den mündig sozialisierten Erwachsenen wird zugemutet und es wird von ihnen erwartet, dass sie all das bewältigen und aushalten; und zwar in jener Menge, die hier als nützliches Staatsvolk gebraucht wird. Nichts von dem, was Kindern erspart werden soll, gilt also dem Kind; es gilt vielmehr seiner Rolle, die es später als Erwachsener im Kapitalismus zu bewältigen hat. Denn wer als Kind kaputt gemacht wird, taugt als Erwachsener nicht mehr zum Dienst an Staats- und Geldmacht. Darin fasst sich der ganze Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen hierzulande zusammen. Ein Aktionsbündnis zum Schutz der Erwachsenen vor Ausbeutung und Missbrauch, vor Kriegen und Suchtstoffen usw. braucht es da nicht. So etwas fällt auch Kinderrechtsaktivisten in ihrer Bornierung auf die Heranwachsenden nicht ein

Deshalb ärgert es die Politik schon, wenn es Teile des produzierten Nachwuchses an Respekt vor Eltern und Amtsinhabern fehlen lassen, wenn sie sich »falsche Freunde« wählen, als Kleinkriminelle agieren, sich zu Schlägerbanden zusammenschließen usw., wenn sie also, gemessen an den Erwartungen an sie, aus dem Ruder laufen. Und es wächst sich für die Politik zum nationalen Notstand aus, wenn sich Deutsche zu wenig um die Produktion von Nachwuchs kümmern. Dabei ist all das, was die Politik da an der Nachwuchsproduktion und am heranwachsenden Nachwuchs stört, nichts als das Resultat ihrer eigenen polit-ökonomischen Werke: Kinder kann man sich nicht leisten, weil es an Geld fehlt; oder umgekehrt: Kinder werden nur in die Welt gesetzt, um eine bessere Wohnung zugewiesen zu bekommen, danach sind die »Blagen« nur noch Störung. Ein Schicksal, dass sie mit vielen anderen Kindern armer Leuten teilen. Und so verhalten sich große Teile von ihnen dann auch – in der Familie, auf der Straße, in der Schule.

4. Und gegen all das sollen Kinderrechte helfen? Ist nicht bereits die Erinnerung daran, dass die UNO ihre Kinderrechtskonvention vor 20 Jahren abgezeichnet hat, Jahre, in denen sich an der Lage der Kinder weltweit nichts zum Positiven gewendet hat, Beweis genug dafür, dass an solche Kampagnen ganz falsche Erwartungen geknüpft werden? Doch soll der Kinderrechtsbewegung dies gar nicht als ihre Erfolglosigkeit vorgehalten werden. Denn Misserfolg, der bekanntlich viele Väter haben kann, setzt voraus, dass die Kinderechtsaktivitäten tatsächlich von dem Bemühen geprägt sind, eine gesicherte materielle und geistige Besserstellung von Kindern durchzusetzen. Doch genau das leisten Rechte für Kinder nicht. Kinder brauchen keine Rechte, sondern ordentliche Ernährung, Kleidung und Wohnung, einen Freiraum zum Spielen und eine vernünftige Ausbildung nebst der Perspektive, dass sie nicht später als Erwachsene ihr Leben doch wieder als gebrauchte oder unbrauchbare bzw. nicht mehr gebrauchte Knechte und Mägde fremden Reichtums einzurichten haben. Rechte liefern und sichern all das nicht - weder »protection«, noch »provision« oder »participation«, wie das Credo der Freunde von Kinderrechten lautet.

Die Kinderrechtsaktivitäten sind nämlich falsch – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Zum einen sind sie selbst ziemlich kindisch. Sie stellen nicht ernsthaft und konsequent die Frage nach den Ursachen all der Kinds-»Misshandlungen«; weder nach denen, die hier auch darunter fallen, und schon gar nicht nach den Ursachen all jener Beschädigungen, die, erwünscht oder geduldet, zum gesellschaftlichen Kinderleben in der Klassengesellschaft dazu gehören. Statt dessen erfährt die Auflistung der inkriminierten Drangsalierungen nur ihre Umkehrung vom Negativen ins Positive: Das was Kinder zerstört, soll nicht sein. Wie das störrische Kleinkind, das mit dem Fuß auftritt und sich davon verspricht, dass ihm die Welt dadurch schon zu Diensten sei, wird das Gute gegen das Böse gewünscht. Und als Instrument, mit dem diesen frommen und gegen Ursachen ignoranten Wünschen Wirksamkeit verliehen werden soll, fällt den Aktivisten fürs Kinderwohl – darin sind sie dann nicht mehr kindisch, sondern gut erzogen - zum zweiten nur das Einklagen von Rechten und deren Verankerung im Grundgesetz ein. Ein Interesse an der Verbesserung der Lage von Kindern zu äußern, sich Mittel seiner Durchsetzung gegen die existierenden Widerstände zu überlegen und zu verschaffen - all das wäre im übrigen Sache von Erwachsenen -, das ist es nicht, was sie umtreibt. Die Differenz zwischen dem Bedürfnis bzw. dem Interesse, das man hat, und dem Recht, das einem von höchster Stelle erlaubt wird, haben sie gefressen. Nur was als Recht gewährt wird, also das was man darf, das geht in Ordnung. Auf dem eigenen, gut begründeten Interesse zu bestehen, das fällt hierzulande unter verpönten Egoismus; die Relativierung aller Interessen am Erlaubten ist denn auch die durchgesetzte Stellung der Menschen zu ihren ganzen eigenen Wünschen und Lebenszielen. Zum dritten ist das Recht nicht zu verwechseln mit der materiellen Sicherung und schon nicht mit der Garantie dessen, was da als Recht gewährt wird. Wie steht es denn mit dem fundamentalsten aller Rechte, dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit? Geschützt ist das freie Bemühen darum, gesichert sind deswegen noch lange nicht die dafür notwendigen sachlichen Bedingungen. Und erst recht nicht der Erfolg, der hängt schlicht davon ab, ob das eigene Bemühen denn auf die Mittel zurückgreifen kann, die fürs Wohlergehen notwendig sind. Was man aus gewährten Rechten machen kann, dass ist folglich nichts als eine Frage der staatlich geschützten Reichtumsverteilung in der Klassengesellschaft. Deswegen ist der Aktivismus der Kinderfreunde untertänig, weil er ausgerechnet von der Staatsgewalt, die die vorgeführten schlimmen Kinderkarrieren hierzulande organisiert oder zulässt, durch die Gewährung von Rechten die Wendung zum Guten erwartet. Noch einmal anders: Haben denn z.B. die im Grundgesetz paraphierten Rechte auf Unverletzlichkeit der Person und auf Schutz des Privateigentums je etwas daran geändert, dass weiterhin Vergewaltigungen, Misshandlungen und Mord, Diebstahl und Raub auf der Agenda von hiesiger Zeitgenossen stehen? Wie auch! Dass all das von Staats wegen nicht erlaubt ist, verweist eben nur - man kann es gar nicht oft genug betonen - darauf, dass all dies tagtäglich passiert, und zu den Umgangsweisen von Menschen miteinander gehört, die durch tiefe Gegensätze und durch ein Hauen und Stechen in der Konkurrenz charakterisiert sind. Die besondere Güte der Rechte besteht nun darin, dass man als Privatmensch gegen Rechtsverletzungen klagen darf, und zwar dann, wenn sie passiert sind. Ist es das, was Kinderrechtler wollen? Wollen sie wirklich dann vor den Schranken des Gerichts mit den juristischen Vertretern der staatlichen Rechtsgewalt darum streiten, was eigentlich und hierzulande zum Wohle des Kindes ist, wenn es bereits geprügelt und missbraucht worden ist, also das Kind – fast im wahrsten Sinne des Wortes – bereits in den Brunnen gefallen ist? Und wenn schließlich – viertens - gefordert wird, dass jedes Kind ein Recht auf Bildung, Gesundheit und Meinungsfreiheit besitzen soll, dann könnte ein genauerer Blick auf das herrschende Bildungs- und Gesundheitswesen ebenso wie auf die Praxis der Meinungsfreiheit klären, dass diese Rechte nichts als die Verpflichtung auf jenes Schulsystem sind, das 60-70% des Nachwuchses zu Restschülern macht, und auf jenes Gesundheitswesen, in welchem viele Krankheiten gar nicht mehr als solche gelten, Zuzahlungen Pflicht und der Aufenthalt im Krankenbett allein am Wohl des Krankenhauses Maß nimmt. Und ob es eine Errungenschaft ist, dass jedermann, der Grund zur Beschwerde hat, sich damit zufrieden geben soll, dass er diese immerhin frei sagen darf und zwar ohne dass sich an der Beschwerde etwas ändert, das steht auch sehr in Frage. Der Inhalt der geforderten Rechte obliegt eben nicht der freien, phantasievollen und von guten Absichten getragenen Ausgestaltung durch Kinderrechtsaktivisten. Wo sie den Staat darum bitten, dass er den Kindern Rechte einräumen möge, da tut er das oder auch nicht, und zwar immer nach seiner Räson, in der Kinder - wie gesagt – etwas anders vorkommen als in der Wunschwelt der Kinderrechtler.

5. Was Kindern gut täte, darum geht es also beiden Seiten nicht, weder den Kinderrechtsaktivisten noch denen, von denen sie Rechte einfordern. Erstere wollen allein dem »Kind« als staatlich anerkannten Wert im Grundgesetz Rechtsgeltung verschaffen, völlig gleichgültig gegenüber der Wertschätzung, die Kinder in der herrschenden Volksrekrutierungspolitik erfahren, und völlig gleichgültig gegenüber der Frage, was das Kindern eigentlich bringt. Letztere, die Politiker, haben allein das Problem, inwieweit ihre Politik der letzten Jahrzehnte, mit der sie das kapitalistische Deutschland in Europa und der Welt vorangebracht haben, nicht im Inneren des Landes bei Nachwuchsproduktion und Nachwuchsaufzucht von »Kollateralschäden« begleitet ist, die sich in der demographischen Volksentwicklung und bei der Domestizierung der Jugend zu freien und mündigen Staatsbürgern störend bemerkbar machen könnten. Aber eines muss auch festgehalten werden: Für sehr gravierend achten sie diese Probleme nicht. Sie haben im Inland und Ausland dringendere Fragen zu lösen, Fragen von Krieg und Frieden, von Krise und Wachstum. Und sie sind sich recht sicher, dass ihnen dies unter entsprechender Benutzung von zu guten Erwachsenen herangezogenen Ex-Kinder aller Klassen und Schichten auch gelingt.

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