Samstag, 18. Juli 2020

Onkel Toms Hütte in Berlin

Dem eigentlichen text schicke ich ein längeres zitat aus einem interview des Deutschlandfunks Kultur mit dem experten für die kolonialgeschichte Afrikas, Ulrich van der Heyden zur umbenennung der mohrenstraße in Berlin voraus.
Zitat Ute Welty: »Braucht es tatsächlich drei promotionen, um zu verstehen, worum es bei der umbenennung der mohrenstraße wirklich geht?«
Zitat Ulrich van der Heyden: »Also, entweder man braucht vier doktortitel dafür oder man braucht keinen. [...] Das läuft in eine richtung, die ich als wissenschaftler nicht gutheißen kann. Das kann ich immer dann nicht gutheißen, politische entwicklungen oder forderungen, wenn sie sich von den fakten abheben, nichts mehr mit wissenschaft zu tun haben, sondern nur noch emotionen und betroffenheiten eine rolle spielen. [...] Ich kenne nicht viele leute die das negativ berührt. Ich bin seit über dreißig jahren in Afrikawissenschaften unterwegs, bekomme viele besuche aus Afrika, zeige den Afrikanern auch die stadtmitte in Berlin. Wir sind in der Mohrenstraße, wir diskutieren da drüber. Keiner hat sich da in irgendeiner weise negativ konnotiert gefühlt. Ich habe lehrveranstaltungen gemacht, seminare in Afrika, auch bei Germanisten, habe versucht darüber zu diskutieren. Die Afrikaner verstehen nicht, was hier in Berlin, oder überhaupt in Deutschland vor sich geht. Wenn man um das wort ›mohr‹ streitet.«
Etwas später dann
Zitat Ulrich van der Heyden: »Man muß betrachten, daß straßen- oder geographische namen [...] zeugnisse aus der zeit sind. Die sind in einer bestimmten zeit zu einem bestimmten zweck entstanden oder ausgedacht worden, benannt worden. Und diese zeit ist geschichte, die kann man nicht einfach wegwischen. Wir können heutzutage keine straße nach Stalin oder Hitler benennen oder Göring, das ist selbstverständlich. Aber alle straßenbezeichnungen, wenn wir bei straßen bleiben, haben ihre begründung aus ihrer zeit und die muß man kennen. Wenn man darüber bescheid weiß, dann kann man darüber diskutieren. Aber leider ist es so, daß diejenigen, die die umbenennung der mohrenstraße fordern, überhaupt keine ahnung [...] von historischen kontexten haben. Ich habe eine sammlung von flugblättern, die da verteilt werden, von einer wirklich kleinen gruppe von jungen leuten, da graust es mir als historiker, wenn ich sehe, daß da der Große Kurfürst mit dem Kaiser durcheinander gebracht wird, daß die zahlen um jahrhunderte verschoben sind, daß da irgendwelche theorien aufgestellt werden, die überhaupt nicht stimmen. Das kann keine grundlage sein für eine diskussion, die politische auswirkungen hat.«
Zitat Ute Welty: »In Berlin gibt es ja nicht nur die mohrenstraße, sonder auch die haltestelle mohrenstraße und die Berliner Verkehrsbetriebe haben die haltestelle in Glinkastraße umbenennen wollen. Und jetzt ist der komponist Glinka einer, der von der entsprechenden literatur als antisemit beschrieben wird. Gut gemeint, schlecht gemacht?«
Zitat Ulrich van der Heyden: »Meine meinung war schon sehr lange [...] die haltestelle mohrenstraße hieß nie mohrenstraße, da könnte man was machen. Da könnte man umbenennen oder umwidmen zu einem antikolonialen erinnerungsort oder kolonialen erinnerungs- und gedenkort. Das wäre eine gute gelegenheit, die Berliner Verkehrsbetriebe hatten sich dazu auch bereitgefunden, es ist in der presse öffentlich gemacht worden, passiert ist nichts.

Und wenn wir jetzt anfangen, in jedem personenbezogenen straßennamen nachzuforschen, werden wir einiges andere auch finden. Ich erinnere an den kurfürstendamm in Berlin [...], das war der Brandenburgische Kurfürst, das war der profiteur vom sklavenhandel gewesen, warum heißt diese straße noch so? Dann kann man weiter gehen, warum gibt es eine Konrad-Adenauer-Straße, Adenauer war stellvertretender vorsitzender der Deutschen Kolonialgesellschaft [...], dann müssen wir auch da weitermachen. Wo wollen wir aber aufhören, wenn wir da erstmal anfangen? [...]

Mohrenstraße, das sollte demokratisch entschieden werden unter den anwohnern, worunter sich auch Afrikaner befinden, die haben nichts gegen diesen begriff. Denn wer benutzt denn noch den begriff ›mohr‹. [...] Und wenn heute diskutiert wird, es wäre antirassistisch, dann frage ich mich, welche rassistische überlegung, welche rassistische handlung, rassistische überzeugung läßt sich ändern, wenn die mohrenstraße mit historisch nicht belegbaren argumenten umbenannt wird?«
Für manche umbenennung gäbe es sicherlich gute argumente. Beispielsweise bin ich der auffassung, daß man nach dem »Hänge-Peters« heutzutage ganz bestimmt keine straße mehr benennen sollte, nur leider gibt es nicht immer gute argumente.

Eine weitere derartige unsinnsdiskussion hat nun der basketballprofi Moses Pölking losgetreten. Er will, daß die u-bahn-station Onkel Toms Hütte umbenannt wird. Dazu schreibt er:
Zitat Moses Pölking: »Ich persönlich finde es ist an der Zeit, die U-Bahn Station Onkel-Toms-Hütte und die Onkel-Tom-Straße umzubenennen. Mir ist bewusst, dass der Begriff „Onkel-Toms-Hütte“ von dem gleichnamigen Buch stammt, geschrieben von Harriet Beecher Stowe.«
Wenn sich der herr Pölking da mal nicht einer völlig falschen sache bewußt ist. Tatsache ist nämlich, daß die straße, die u-bahn-station und die gleichnamige siedlung in der nähe, wenn überhaupt nur sehr, sehr indirekt nach dem roman benannt sind. Mitte der 1880er jahre eröffnete im nahe gelegenen riemeisterfenn ein ausflugslokal, es soll ein reetgedecktes holzhäuschen gewesen sein - es wurde ende der 1970er jahre wegen baufälligkeit abgerissen - der erste wirt hieß Thomas und so wurde das lokal im Berliner volksmund dann eben »Onkel Toms Hütte« genannt.
Zitat Moses Pölking: »Jedoch wird das Buch weitestgehend als herablassend und beleidigend gewertet. Durch das Buch entstammt der Begriff Onkel Tom, welcher in der Afroamerikanischen und PoC community zu höchst beleidigend ist. Ein Onkel Tom war ein Sklave der sich bewusst entmenschlicht hat, um von seinem Sklavenhalter nicht als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Er hat sich bewusst seiner Menschenwürde entzogen.«
Das buch wurde hierzulande völlig anders bewertet. Nämlich, daß der Tom, der ein ehrlicher und anständiger mensch ist, in eine entmenschlichte welt hineingestoßen wird und von den weißen fürchterlich ungerecht behandelt wird. Ich habe keine ahnung, ob die geschichte heutzutage überhaupt noch vielen menschen bekannt ist

Im Deutschen gibt es die beleidigung »onkel Tom« nicht. Im Amerikanischen Englisch war es weiße herrschaftssprache, schwarze nicht mit mister/missis anzureden, sondern mit uncle/aunt. Im Deutschen gibt es diese form von herrschaftssprache nicht und das läßt sich nicht einfach eins zu eins übertragen. Wenn ich beispielsweise einem Englischsprechenden menschen sage, daß er einen vogel hat, wird der vielleicht an seinen wellensittich denken, der wird eher verstehen, was ich meine, wenn ich ihm sage, daß er wohl fledermäuse im glockenturm hat.
Zitat Moses Pölking: »Ein Onkel Tom war auch ein Sklave, der alles dafür Tat besser von seinem Sklavenhalter behandelt zu werden und dadurch von den anderen Sklaven gehasst wurde. Heutzutage wird der Begriff für Afroamerikaner oder PoCs verwendet, die sich gegen ihrer Eigen stellen und zur Gunst anderer, im Hauptfall Weißen, agieren. Einfach gesagt ein „Sell-out“ oder „Coon“.«
Soweit ich gehört habe, hat der schwarze bürgerrechtler Malcolm X den schwarzen bürgerrechtler Martin Luther King als »uncle Tom« bezeichnet, weil der ihm zu friedfertig und zu wenig radikal den weißen gegenüber war, unbekannt ist mir, ob es diese form der beleidigung vorher schon gab. Es ist eine beleidigung innerhalb der schwarzen gemeinde in den USA.

Auch »fachbegriffe« wie sell-out oder coon dürften einem großteil der Deutschen muttersprachler eher unbekannt sein. Viele von denen sprechen zwar Ostdeutsch aber keinen Amerikanischen slang, weshalb die ganz andere vokabeln verwenden, wenn die einen beleidigen wollen.
Zitat Moses Pölking: »Abschließend will ich Sie nur darauf hinweisen, dass die Begriffe Onkel Tom bzw. in unseren Fall Onkel-Toms-Hütte und Onkel-Tom-Straße so beleidigend sind, wie Mohrenstraße. Hiermit fordere ich @bvg_weilwirdichlieben und @michaelmueller.berlin auf diese Namen zu ändern. Wenn Sie mit mir darüber reden wollen, persönlich oder über Social Media, stehe ich gerne dafür zur Verfügung.

Peace ✊🏽

Ich habe hierzu eine Petition mit der Hilfe von @luholymary ins Leben gerufen. Bitte unterzeichnet und teilt sie alle! LINK IN BIO #blm #berlin #zehlendorf #bvg #racism #stopracism #makeitgoviral #genugistgenug«
Man kann sich natürlich auch beleidigungen konstruieren, wo keine sind, wenn man nur ordentlich sucht, wird man garantiert fündig. Ich war mal in einem kaff in Thüringen, da gab es eine straße, die hieß »am ficktor«. Was, wenn prüde menschen einen solchen namen anstößig finden und ist so eine bezeichnung überhaupt jugendfrei? Vielleicht sollte die straße auch »Viktor« heißen und der schilderhersteller hatte es nicht so mit rechtschreibung. In einem anderen nest gab es ein »teufelsleckergäßchen«. Dort befand sich ein süßwarenladen. Ausgerechnet. Wer wohl zuerst dagewesen war? Aber beleidigt es nicht religiöse gefühle, wenn der teufel mit im bunde ist? Wahrscheinlich gibt es auch für diese straßennamen irgendwelche gründe, die wahrscheinlich viel langweiliger sind, als man denkt.

Vielleicht hätte der wirt Tom vom riemeisterfenn sich mitte der 1880er jahre umtaufen lassen, wenn er geahnt hätte, daß im jahr 2020 die menschen nichts besseres zu tun haben als anstoß an seinem namen nehmen, vielleicht in Friedrich oer Wilhelm, das sind schließlich auch schöne namen.

6 Kommentare:

  1. Die Mohrenstr. hat eine lange Geschichte.
    Die U-Bahn-Station heißt erst seit 1991 so.

    Ups! Das haben damals die Wessis so beschlossen. Nun wollen diese Dödels wieder umbenennen.

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    1. Die mohrenstraße heißt seit 1707 so, das ist relativ gut belegt, weil zur selben zeit auch alle anderen straßen der Friedrichstadt ihre namen erhielten, der erste stadtplan, auf dem die eingezeichnet war, ist rund 310 jahre alt.

      Nö, nicht »die wessis« haben das beschlossen, daß der u-bahnhof »mohrenstraße« heißen soll, sondern die BVG und der senat. Nach meinem dafürhalten hieße die station einfach weiter »Otto-Grotewohl-straße«.

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  2. Heyden's Argumentation ist nicht ganz schlüssig wenn er sagt, dass er viele Afrikaner kenne die sich am Wort "Mohr" nicht stören würden. Muss er doch als Wissenschaftler wissen wenn er keine empirischen Belege hat, dass dies Spekulation ist. Aber er hat Recht wenn es um die historische Grundlage geht und da stellt es sich als Scheindebatte heraus. Denn eine Mohrenstraße ist eben keine Straße benannt und geehrt nach "Hänge-Peters" oder Lüderitz.
    Was Pölking angeht, ist seine anbiedernde Argumentation ahistorisch und schlicht falsch.
    "Onkel Tom's Hütte" kann man durchaus als frühes emanzipatorisches Werk sehen.
    Stowe wollte die unsäglichen Verhältnisse der Sklaverei beschreiben. Nicht umsonst erschien, als Fortsetzung, die Geschichte als erstes im "The National Era", eine Publikation der Abolitionisten und auch nicht umsonst, erschienen zum Ausbruch des Bürgerkrieges mindestens dutzende "Anti-Uncle Tom" Werke aus dem Süden.
    Man kann den naiven und pietistischen Stiel (Stowe war missionarisch religös) kritisieren, sollte aber auch den zeitlichen Background (1851) nicht ausser Acht lassen, aber ich weiss, heutzutage sind wir ja sowieso alle "abgeklärter".
    So eine arrogante Selstwahrnehmung führt dann auch mal schnell zu solchen Flugblättern die Heyden angesprochen hat.

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    1. Das was van der Heyden sagt, ist keine spekulation, sondern ein erfahrungsbericht. Er behauptet nicht, daß es empirisch belegt sei, daß sich nicht viele Afrikaner an dem veralteten begriff »mohr« in der Deutschen sprache stören. Er erzählt, daß er seit langem lehrveranstaltungen mit Afrikanern macht und die diese diskussion nicht verstehen. Das klingt für mich plausibel, denn wenn er mit historikern, Germanisten und anderen wissenschaftlern aus Afrika über dies thema spricht, ist es wahrscheinlich, daß die den historischen kontext und die wortherkunft kennen - »mohr« ist eben kein weißer herrschaftsbegriff aus der kolonialzeit, sondern kam bereits im Althochdeutschen vor, das wurde ca. vom 8. bis ins 11. jahrhundert gesprochen, also geringfügig, bevor Brandenburg seine erste kolonie hatte.

      Danke für die ergänzungen zu »Onkel Toms Hütte«, ich wollt den text nicht zu lang werden lassen. Das buch hatte ich als kind mal in einer jugendbuchausgabe gelesen, die an die modernere sprache angepaßt war und sicherlich auch auf’s wesentliche gekürzt. Hm - vielleicht ein anlaß, es doch mal richtig zu lesen - vielleicht sogar im original. Immerhin soll es den Amerikanischen Bürgerkrieg mitausgelöst haben.

      Die geschichte mit der Onkel-Tom-Straße erinnert mich sehr an die geschichte, als ende der 80er jahre einige feministinnen den begriff »altweibersommer« verbieten lassen wollten. Der hat zwar mit frauen nicht das geringste zu tun, sondern warscheinlich mit weiben - also den weben der spinnen, die man im spätsommer viel sieht - aber lieber erstmal beleidigt fühlen und verbieten als danach zu fragen, was das eigentlich heißt.

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    2. Ja das mit dem Auslöser zum Bürgerkrieg ist eine nette Anekdote die angeblich Lincoln gesagt haben soll. Beweist aber welchen Impact Stowe's Roman zur damaligen Zeit hatte.
      Wie ich schon schrieb, die Debatte um die Mohrenstraße ist eine Scheindebatte die ein eigentlich ein wichtiges Thema, nämlich Dekolonisation, zum "Mumpitz" verkommen lässt.
      Das erinnert mich ans Gender*chen. Ich persönlich finde die Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Relevanz einer geschlechtsunabhängigen Entlohnung um Lichtjahre wichtiger.
      Man sieht das es mitlerweile bei "Gender Studies" und "Critical Whiteness Studies" nur noch um Identitätspolitik geht.
      Dazu ein etwas älteren Artikel, wobei ich auf den Begriff "left" verzichten würde, weil es sich m.M. eher um die Karikatur ein "left" handelt.

      https://www.globalresearch.ca/san-francisco-murals-suicide-left/5682193

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    3. Der artikel mit den wandbildern in San Francisco ist ein schönes beispiel für den abgrund der dummheit. Das kann man durchaus als »left« bezeichnen - im sinne von »verlassen« - und zwar von allen guten geistern. Im vergangenen monat schlugen sie (mutmaßlich linke antirassisten) in Berlin-Zehlendorf der expressionistischen skulptur »sitzende negerin« den kopf ab. Die ca. hundertjährige dame hat den rassismus der nazis und den krieg »überlebt«. Den heutigen antirassismus nicht.

      Die christen haben die statuen der alten gottheiten zerstört, die Lutheraner die bilder in den kirchen und Hitler ließ bücher verbrennen - und zahlreiche bilder der expressionisten. Die haben dinge aus der geschichte aus dem weg räumen wollen, die nicht zu ihrer sache paßten. Bilderstürmerei war noch nie eine gute idee - und die vermeintlich »linken« sind derart gaga, daß sie aus vermeintlichen korrektheitsgründen auch ihre eigenen sachen zerstören.

      Für dekolonialisierung bräuchte es erst einmal das bewußtsein, daß es kolonialisierung gab - im geschichtsunterricht kam das bei mir kaum vor. Zumindest in bezug auf Deutschland wurde das so behandelt, daß das wenigstens mal eine sauerei in der geschichte sei, mit der Deutschland so gut wie nichts zu tun hatte, auch in bezug auf die sklaverei. Erst wesentlich später fand ich durch zufall herraus, daß Brandenburg bereits im 17. jahrhundert eine kolonie hatte, mit allen sauereien, die dazugehören.

      Über den identitätsdreck vielleicht gern mal an anderer stelle - hier geht es erst mal um kolonialismus und rassismus.

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