Zitat Thembi Wolf: »"Es sind nüchterne Bilder, die nicht beschönigen, den Protagonisten aber auch nicht die Würde nehmen", schreibt die "Süddeutsche Zeitung" dazu. Der Artikel heißt: "Armut an den Wänden, Sekt in den Gläsern". Ich verschlucke mich fast. Was soll das heißen – trinken arme Menschen keinen Sekt?«Was heißt trinken? Arme menschen baden allmorgentlich in schampus, weshalb abends dann immer das geld nicht mehr reicht für bier und schnittchen. Das mit der »würde« ist tatsächlich ein seltsames konstrukt, das aber rein gar nichts damit zu tun hat, ob man sekt trinkt oder nicht, sondern wie man in der öffentlichkeit dargestellt und wahrgenommen wird.
Zitat Thembi Wolf: »Zuerst einmal ist Armut nichts Diffuses. Armut bedeutet, dass das Geld nicht reicht.«Blödsinn. Ist der sehr-gut-verdiener, der etliche fernreisen im jahr macht, schnieke kleidung trägt, ein dickes auto fährt, seine kohle verpraßt und chronisch pleite ist, weil er auf zu großem fuß lebt, vielleicht arm? Ist der h4empfänger der mit seinem geld einigermaßen über die runden kommt, weil er seine bedürfnisse seinen einkomensverhältnissen angepaßt hat und ein äußerst bescheidenes leben führt deshalb reich, weil er mit seiner knete über den monat kommt?
Und dann kommt frau Wolf darauf, daß ihre lebensrealität in den Amerikanischen serien ihrer kindheit nicht vorkam, weil dort die erwachsenen zur arbeit gingen, was bei ihr zu hause eher nicht der fall gewesen sei.
Zitat Thembi Wolf: »Niemand saß regelmäßig von 9 bis 5 Uhr in einem Büro.«Warum nur? Womöglich, weil das in Deutschland eine eher unübliche arbeitszeit ist? Hierzulande wird man oft genötigt, bereits um 7 uhr anzufangen und von regelmäßigkeit können viele nur träumen - flexibilität ist gefragt. Außerdem gibt es tatsächlich auch berufe, die nicht im büro ausgeübt werden.
Zitat Thembi Wolf: »Dass auch meine Welt existiert, bestätigte mir nicht das Nachmittagsprogramm auf Vox, sondern das auf RTL2.«Amerikanische serien geben nicht vor, die lebensverhältnisse in Deutschland abzubilden. Außerdem ist es eine komische vorstellung, sich die existenz der eigenen lebenswelt durch das schrottprogramm im Deutschen privatfernsehen bestätigen lassen zu müssen.
Allerdings schreibt Thembi Wolf, daß sie eine reformschule besucht und ein musikinstrument gelernt habe. Wie viele figuren aus dem »unterschicht-tv« leisten sich privatschulen und musikunterricht?
Zitat Thembi Wolf: »Die TV-Formate heißen heute anders – "Hartz" ist in vielen Titeln – das Prinzip ist geblieben. In "Armes Deutschland" werden pro Folge drei oder vier Deutsche begleitet, die nicht viel Geld haben.«Bei »Armes Deutschland« werden eben gerade nicht drei oder vier Deutsche mit wenig geld begleitet. Hier wird armut dargestellt, wie sie in den köpfen irgedwelcher drehbuchschreiber windiger produktionsfirmen existiert. Es soll so aussehen, als seien die charaktere alle echt und ihre geschichten quasi vom leben selbst erzählt. Tatsächlich ist alles frei erfunden.
Die unterschiede zwischen dokumentarfilm, doku-soap und »scripted reality« muß man als schreiber bei bento offensichtlich nicht wissen.
Zitat Thembi Wolf: »Sie sind nicht die am Leben scheiternden Schluffis aus den Öffentlich-rechtlichen: schüchtern, grundsympathisch und immer ein bisschen langsam im Kopf. Bemitleidenswert und maximal unschuldig.Wer soll dieses ominöse »wir« sein, das die stilmittel verleugnet? Es ist doch durchsichtig: die »dramaturgie« ist stets die selbe: es wird der faule h4mensch gezeigt, sich daneben benimmt und kein bock auf arbeit hat. Als gegenpart kommt der workingpoor hinzu, der mindestens 35 stunden pro tag arbeitet, sich den ganzen arsch aufreißt, um seine familie zu ernähren. Für den preis, daß er seine kinder leider vernachläßigen muß, obwohl er so gern mehr zeit mehr für sie hätte.
Wir sprechen dem Hartz-IV-TV ab, dass es mit Stilmitteln arbeitet. Mit denselben, wie jede Netflixserie: Übertreibung, überzeichneten und fehlbaren Charakteren und einer Dramaturgie. Und wir sprechen denen, die zuschauen, ab, dass sie das wissen.«
Das konnte das öffentlich-rechtliche auch schon im jahr 2012 relativ gut als der etwas verquere esoteriker Ralph Boes in der Maischbergertalkshow der fleißigen putzfrau Heidi Ralfs gegenübergestellt wurde: auf der einen seite der »faule« hartzer, der bestimmte arbeiten nicht machen möchte und auf der anderen die fleißige, die mit ihrer plackerei auf keinen grünen zweig kommt aber wahnsinnig stolz drauf ist.
Zitat Thembi Wolf: »Aber auch die Annahme, alle Darstellerinnen müssten Opfer eines ausbeuterischen Systems sein, ist ein Stigma.«Der begriff »armutsporno« des Britischen »Guardian« trifft die angelegenheit ziemlich gut.
Es wird nicht die realität abgebildet. Stattdessen werden die phantasien des drehbuchschreibers und des publikums bedient. Die darsteller haben oft knebelverträge aus denen sie nicht wieder rauskommen und müssen vor der kamera tun, was ihnen vorgegeben wird. Die sagen nicht, was sie denken oder fühlen, sondern müssen etwas darstellen, was sie überhaupt nicht sind. So etwas kann durchaus spaß machen, ansonsten würde vermutlich niemand schauspieler werden wollen - ich habe mal eine kleine, aber gemeine nebenrolle in einem hörspiel gesprochen und habe durchaus gern die fieslingin gespielt. Das unredliche an diesen angeblichen »dokus« ist, daß sie ebenso »wahr« sind wie sämtliche seifenopern der welt, vom publikum aber größtenteils nicht als fiktion, sondern als realität wahrgenommen werden. Tatsächlich ist die realität von langzeitarbeitslosen oft unspektakulär, weil sie einfach versuchen, mit dem wenigen geld, das sie haben ein möglichst normales leben zu führen. So daß sie, wenn man realitätsnah davon berichten wollte, beim sensationsheischenden RTL2publikum keinerlei quote brächten.
Über Christian und Nathalie, die die »asozialen« in »Armes Deutschland« geben, schreibt Thembi Wolf:
Zitat Thembi Wolf: »Selbst in der Geschichte vom "Ich nehme lieber Hartz IV"-Christian und der rauchenden, schwangeren Natalie steckt diese Nuance. Was schuldet Christian der Gesellschaft? Ist es okay, nicht zu arbeiten? Ist es okay, Arbeit abzulehnen, weil er sich mehr wert ist als den 500-Euro-Job seines besten Kumpels?Wie sich Christian und Nathalie im richtigen leben verhalten, wird das publikum nicht erfahren. Sie sind, wie schon gesagt, figuren in einer »scripted-reality-show«, die vor der kamera sagen, was sie sollen. Und es geht nicht darum, mal drüber nachzudenken, daß es schon in ordnung ginge, schlecht bezahlt arbeit nicht anzunehmen. Weiter oben wird scheinheilig gefragt:
Und da ist der Umgang mit dem Stigma der Armut. Studien sagen, Armut führt zu schlechterer Gesundheitsvorsorge. Zu wissen, was gesund ist, ist eine Frage der Bildung. Darf Natalie in der Schwangerschaft rauchen? Wer mal mit Kippe und Kinderwagen unterwegs war, kennt die urteilenden Blicke. Aber solche gesellschaftliche Ächtung prallt an Natalie vielleicht ab.«
Zitat Thembi Wolf: »Er will nicht arbeiten, selbst Schuld an der Armut. Schürt das nicht Vorurteile gegen Arbeitslose? Stigmatisiert sie?«Was denn sonst?
Zitat Thembi Wolf: »Wir verkennen, dass die Hartz-IV-TV-Sendungen hochpolitisch sind.«Und da ist es schon wieder, dieses »wir« in das man ungefragt eingemeindet wird, auch wenn man es völlig anders sieht.
Natürlich sind diese sendungen hochpolitisch. Es geht darum, die gruppe der arbeitslosen - und speziell der langzeitarbeitslosen - zu diskreditieren.
Zwar ist es in einer konkurrenzgesellschaft zwangsläufig, daß es konkurrenzverlierer gibt. Aber die konkurrenzverlierer sind nach den darstellungen des h4tv grundsätzlich selber schuld. Weil eben dumm, faul, träge und viel zu unmotiviert für den tollen erfolg in der lohnarbeit.
Verachtung gegenüber ärmeren oder weniger leistungsfähigen menschen hat es in dieser gesellschaft schon immer gegeben, seit es diese von Thembi Wolf gelobten formate im fernsehen gibt, hat sich der ton allerdings wesentlich verschärft.
Zitat Thembi Wolf: »Der Wunsch nach "würdevollen" Bildern von Armut war für mich deshalb immer verlogen. Denn es ist nicht das Bedürfnis der Betroffenen – sondern derer, die von außen auf sie blicken und sich ihrer Vorteile und Vorurteile schämen.«Ja, natürlich ist es verlogen, »würdevolle« bilder von armut zu wünschen. Daß das etwas mit vor- oder vorurteilen oder scham zu tun hätte, ist jedoch auch wieder ein vorurteil. Vielleicht wäre es auch möglich und wesentlich vernünftiger, die abschaffung von armut zu verlangen, statt ihre würdelose darstellung zu bejubeln.
Zitat Thembi Wolf: »Das weiß ich, seit ich klein war und unter Menschen lebte, die meinen 2,90-Latte für die ultimative Dekadenz halten würden.«Schlechte grammatik. Die 2,90 latte ist in diesem fall offensichtlich kein kaffehaltiges milchschaumgetränk im hochglas, sondern eher ein brett, das an bestimmter stelle sitzt.
Nö, da gibt’s nichts zu danken!
Mir war "bento" nie ein Begriff und na ja nachdem ich deinen Artikel gelesen habe wünschte es wäre so geblieben. Zum Thema: Ich bin selbst seit etlichen Jahren so genannter Hartz4ler und für mich sind solche Sendungen wie auf RTL und Co. immer wieder ein Schlag in die Magengrube. Diese Sendungen stellen versuchen uns darzustellen als ob wir die letzten "Untermenschen" wären, ja ich habe den Begriff bewusst verwendet weil ich der Meinung bin dass diese Sendungen reinste Demagogie sind, deren Zweck eigentlich nur darin besteht das Bild vom faulen parasitären ungebildeten Sozialschmarotzer aufrecht zu erhalten. Und ja das hat sehr REALE gesellschaftliche Auswirkungen für Menschen wie mich z.B. das fängt an mit gesellschaftlichem Ausschluss, bis hin zu wüsten Beschimpfungen und faschistoider Verachtung gegenüber Menschen die Hartz4 beziehen. Wie diese Frau auf die Idee kommen kann diese demagogische Kacke auch noch zu feiern, ist mir schleierhaft. Aber wahrscheinlich ist das wieder eine ganz neue Strategie um die Demgogie Salonfähig zu machen, vermute ich.
AntwortenLöschenTut mir leid, daß Du nun doch von bento hast erfahren müssen. Der von mir gar nicht mal so sehr geschätzte Böhmermann nannte bento mal die »web gewordene schulklotür« und das trifft es in puncto geschmier.
LöschenVor jahren war ich auch in arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt und das alles hatte wirklich rein gar nichts mit dem zu tun, was in den einschlägigen fernsehsendungen gezeigt wird, weshalb es mir schon ziemlich debil erscheint, wenn jemand schreibt, daß diese programme die armut zeigten, wie sie wirklich sei. Deine beschreibung »schlag in die magengrube« trifft das auf jeden fall besser. Die autorin des artikels rühmt sich ihrer »unterschichtvergangenheit«, in der aber komischer weise dann doch geld für eine reformschule übrig war. Mutmaßlich Waldorfschule, das ist die preisgünstigste form von privatschule. Und da wundert es mich auch nicht, daß die es mit dem denken nicht so hat.
Daß das eine ganz neue strategie wäre, um die demagogie salonfähig zu machen, glaube ich eher nicht.
Man sollte durchaus darauf hinweisen, dass diese Formate sich vor allem an die Mittelschicht richten. Einmal um sich sozial abzugrenzen ("Kein Wunder, dass die arm sind und keine Arbeit haben. Wenn man sich so gehen lässt! Wie gut, dass wir da anders sind.") und als Drohkulisse, was passieren kann, wenn man sich nicht brav weiter ausbeuten lässt.
AntwortenLöschenJa. Über die zielgruppe hatte ich tatsächlich zwei, drei absätze geschrieben, die ich allerdings wegen der länge des textes gestrichen habe, weil das dann doch etwas zu weit ging. Sinngemäß stand da drin, was Du jetzt ergänzt hast. Die leute sollen sich halt ein bißchen gruseln und gefälligst auch dankbar sein, daß sie es mit ihrem bescheidenen, kleinen dasein zumindest doch besser getroffen haben, sei es nur ein wenig. Und darüber soll dann vergessen werden, wie schnell man selbst dort landet, wenn mal wieder personal abgebaut wird oder man womöglich aus gesundheitlichen gründen nicht mehr kann und deshalb rausfliegt.
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