Vor wenigen wochen wurde eine neue studie der INSM vorgestellt. Ein »regional-ranking«, also sozusagen eine »hitparade der besten gegenden« in Deutschland. Eine studie, um die viel wirbel gemacht wurde, obwohl sie für den normalen bürger, lohn- und mehrwertsteuerzahler wertlos ist.
Wie meine stadt in diesem hochwissenschaftlichen ranking punktet, werde ich zum glück nie erfahren, weil die INSM sich an Berlin gar nicht erst herangewagt hat, also greife ich willkürlich eine andere stadt heraus:
Erlangen. Über diese stadt gibt es bekanntermaßen viel wissenswertes.
Erlangen liegt im bundesvergleich auf platz 7. Laut studie der INSM hat die stadt den höchsten anteil an ingenieuren und hochqualifizierten (12,1 % bzw. 25,3 %, im bundesdurchschnitt 2,2 % bzw. 7,8 %) unter den sozialversicherungspflichtigen beschäftigten. Allerdings wurden in Erlangen rund 14 % mehr straftaten registriert als im bundesdurchschnitt. Weil der erhöhte anteil an ingenieuren irgendwie mit der erhöhten kriminalitätsrate korreliert, könnte man aus dieser statistik auch herauslesen, daß ingenieure eine höhere kriminelle energie an den tag legen als normale menschen. Klingt plausibel, denn wahrscheinlich haben die ein größeres »know-how«, wie man tresore knackt, banknoten fälscht oder statistiken schönrechnet.
Positiv schlägt zu buche, daß auf 100 Erlanger 38,1 berufspendler kommen. Daraus schließt man bei der Initiative für Neoliberale SchönrechnungsMathematiker, daß es dort attraktive arbeitgeber gäbe.
Der hohe anteil der pendler liegt selbstredend auf keinen fall an wohnungsknappheit oder überteuerten mieten und schon gar nicht an arbeitsverhältnissen, für die es sich nicht lohnt, umzuziehen.
Ich kenne die aktuelle situation in Erlangen nicht, jedoch ist mir aus anderen städten bekannt, daß viele menschen pendeln, weil arbeitsplatznahes wohnen unbezahlbar ist. Ein anderer grund, lange anfahrtswege in kauf zu nehmen, sind unsichere arbeitsplätze. Wer einen befristeten arbeitsvertrag hat, ist wahrscheinlich eher bereit, stundenlang zu fahren, als das gewohnte soziale umfeld zu verlassen und am ende in einer fremden stadt arbeitslos zu versauern, ohne aussicht, jemals wieder zurück zu können.
Eine hohe pendlerquoute ist demzufolge für nicht unbedingt ein indiz für gute arbeitsbedingungen. Mit diesen zahlen könnte man genausogut eine schieflage »beweisen«. Wenn menschen nicht in arbeitsplatznähe wohnen und kostbare zeit unterwegs verbringen, sind die bedingungen nicht attraktiv genug für einen wohnortwechsel.
Als negativ an Erlangen wird gewertet, daß das lohnniveau dort 41 % über dem bundesdurchschnitt liegt. Ist das ein wunder, wenn dort viele gut qualifizierte arbeiten? Hat die neoliberale seele erst ruh‘, wenn alle löhne unter 7€50 pro stunde gedrückt sind? Ist ein niedriges lohnniveau volkswirtschaftlich überhaupt sinnvoll?
Armutslöhne sichern den luxus der reichen, auf keinen fall sichern sie das überleben des sogenannten mittelstandes, dessen komplette auslöschung offensichtlich ziel der INSM ist: zu ausbeuterlöhnen kann man kein handwerk betreiben. Der lebensstandard schrumpft und es ist nicht mehr möglich ihn durch wissen oder können zu sichern.
Den abhängig beschäftigten soll diese art der propaganda einbläuen: Wenn Ihr funktioniert, geht es Eurer region gut.
Ein klebriger zahlenbrei ergießt sich, wenn man sich dann auch noch die »hitparade der demografie« antut. Hier wird mit folgenden werten gerechnet:
- Anteil der unter 20-Jährigen an der Bevölkerung in ProzentHieraus ergibt sich, daß für die INSM die welt völlig in ordnung ist, wenn auf verschleiß gearbeitet wird und die menschen munter abkratzen, bevor sie an rente auch nur denken können. Hauptsache, die leute arbeiten und produzieren nebenher noch einen geburtenüberschuß, den man auf späteren kriegsschauplätzen verheizen kann.
- Anteil der über 60-Jährigen an der Bevölkerung in Prozent
- Alterskoeffizient (Verhältnis der 20- bis 60-Jährigen zu den 60-Jährigen)
- Geburtenüberschuss je Einwohner
- Lebenserwartung (gewichtet nach Geschlecht)
- Erwerbsquote in Prozent
- Arbeitsplatzwanderungen (Zuzüge abzüglich Fortzüge der 25- bis 30-Jährigen in Prozent der Altersgruppe)
Es reicht vollkommen aus, wenn eine dünne oberschicht die lebenserwartung möglichst weit nach oben drückt und die breite unterschicht nutzbar ist und nicht vor dem wehr- bzw. gebärfähigen alter abtritt, ohne die »pflicht« erfüllt zu haben. Für diese menschen ist es schicklich, nützlich zu sein. Ameisengleich dienst zu tun und abzutreten, bevor das rentenalter sie ereilt oder krankheit kosten verursacht.
Das weltbild, das hier vermittelt wird, ist äußerst rückschrittlich und paßt in das vorvergangene jahrhundert. Die menschen sollen nicht um das eigene wohlergehen besorgt sein, sondern um das wohlergehen derer, die »gottgegeben« das sagen haben.
Die studie belegt vor allem eines: der buchstabe »S« steht bei der INSM keinesfalls für »sozial« (= das zusammenleben der menchen in staat und gesellschaft betreffend), sondern für »sponsored« (= für werbezwecke finanziert)
Liebe Mechthild,
AntwortenLöschendas war schön analysiert. Bist du Mathematikerin?
Ich habe ein Diplom in Mathe. Statistik war ein Pflichtfach. Wenigstens hatte ich in diesem Bereich einen guten Prof. Er hat sich auch immer über die Interpretationen der Zahlen lustig gemacht. (Wer Sport treibt ist gesünder - denn wer krank ist, der treibt keinen Sport.) (Dicke haben einen niedrigeren IQ als Dünne. Kann ich durchs Abnehmen schlauer werden?)
Grüße Klotzkopf
Lieber Klotzkopf,
Löschenan sich gehört statistik zur allgemeinbildung. Nur wird sie gern vernachlässigt, weil sie eine dröge angelegenheit ist. Ökonomen beispielsweise benötigen statistik, damit sie am ende sicher sagen können, daß jede verkaufte ware einen käufer gefunden hat. Viele leute weigern sich jedoch, über so einen blödsinn einfach zu lachen.
Grüße von Mechthild
Es reicht vollkommen aus, wenn eine dünne oberschicht die lebenserwartung möglichst weit nach oben drückt?
AntwortenLöschenDie Lebenserwartung ist seit 1990 im weltweiten Durchschnitt um sechs Jahre gestiegen - auf 73 Jahre. Wir reden hier von den 99% Nicht-Reichen, die diese Statistik beherrschen, und auch nicht von der westlichen Welt, sondern der Welt insgesamt.
spiegel.de/gesundheit/diagnose/a-969548.html
Ich habe noch nie von den angeblich 99 % nicht-reichen gesprochen. In sofern ist es unverschämt zu behaupten, daß »wir« hier über eben diese personengruppre sprächen. Im obenstehenden artikel, den ich übrigens im mai 2009 schrieb, ging es um die zustände in Deutschland - und nicht um die ganze welt. Ich bezog mich auf ein »regional-ranking« der INSM, in welchem die supertolle entwicklung in zeiten des neoliberalismus angepriesen werden sollte.
LöschenZahlen, die in deren weltbild nicht hineinpaßten, hatten die damals von anfang an draußen gelassen. Beispielsweise eine studie aus Berlin, die ziemlich klare zahlen darüber lieferte, daß wohlhabende menschen länger leben als arme. Inzwischen gibt es weitere studien aus Deutschland, die belegen, daß arme leute kürzer leben. Bei männern macht der unterschied von arm zu reich inzwischen rund 10 1/2 jahre aus.
Wenn einer 100 geworden ist und der andere bloß 40, dann haben beide im schnitt 70 jahre gelebt. Bloß einer hatte 2 1/2 mal mehr lebenszeit.
Rückschritt möchte ich es nicht unbedingt nennen, eher Stillstand. Letztlich hat sich seit ewigen Zeiten nicht wirklich etwas ge- und verändert. Es gab seit Jahrtausenden stets eine relativ dünne "Oberschicht", für die das "gemeine Volk" produziert, gerackert und bei Bedarf gekämpft hat. Und die Mehrheit des "Volks" hat seine jeweilige "Oberschicht" schon immer nicht selten bewundert, verehrt und ihr voller Dankbarkeit gehuldigt.
AntwortenLöschenMan war halt dankbar dafür, dass man "denen da oben" mit seiner Arbeitskraft und seinem Kampfesmut überhaupt dienen durfte und einem selbst hierfür ggf. auch mal ein paar Krümelchen vom herrschaftlichen Tisch hingeworfen wurden.
Und so etwas ähnliches wie die "INSM" waren in den alten Zeiten halt zunächst die Priesterschaft und später dann die Kirchen, die all das dem damaligen "Durchchnittsbürger" als götter- bzw. gottgewollt verkauft haben.
Im Grunde genommen ist in dieser Hinsicht letztlich eigentlich alles beim Alten geblieben, lediglich die "allgemeine Verpackung" hat sich ab und zu mal ein klein wenig geändert...
In der zeit, als es auf Deutschem boden mal den versuch gab, einen sozialismus zu etablieren, waren im »freien« teil des landes die krümelchen, die vom herrschaftlichen tisch fielen, gezwungenermaßen etwas größer. Als ich den text vor fünf jahren schrieb, sah ich es als rückschritt an, daß soziale verbesserungen wieder verschwinden. Inzwischen denke ich, daß der kapitalismus nach der ausnahmesituation bis 1990 einfach wieder normal wird. In sofern hast Du mit »stillstand« recht.
LöschenDafür ist es schon enorm, dass die durchschnittliche Arbeitszeit der Menschen nur noch ein Zehntel ihrer Lebenszeit beträgt - so wenig wie nie - und sie im Durchschnitt doppelt so alt werden wie Anfang des 20. Jahrhunderts...
AntwortenLöschenEine Veränderung von massiver Drastik.
Aber sicher. Man kann sich jede veränderung nach belieben schönlügen.
Löschen"Das Muster des „Oben wenig, unten viel“-Arbeitens der klassischen bürgerlichen Gesellschaft hat sich inzwischen umgekehrt. In den höheren sozialen Schichten, bei den Bestqualifizierten und Gutverdienenden, hat sich Arbeitszeit ausgedehnt – im Tages- und Jahreszyklus wie im Lebensverlauf – in den unteren sozialen Schichten, bei den Geringqualifizierten und Geringverdienern, ist sie verkürzt worden."
Löschenwww.fu-berlin.de/presse/publikationen/fundiert/2006_01/06_01_nolte/index.html