Dienstag, 16. April 2013

Zwanzig jahre »tafel« und kein ende

Zum tafeljubiläuum und zur buchveröffentlichung von Stefan Selke war das thema »tafel« in den letzten tagen mal wieder ein bißchen in den medien vertreten.

Es ist ja schön daß es inzwischen so etwas wie das »aktionsbündnis 20« überhaupt gibt. Aber dann fordern die auch wieder bloß sozialstaat, als wäre der nicht schon allein aus seiner existenz heraus beweis genug, daß unser wirtschaftssystem vor allem dazu taugt, arme leute zu produzieren.


Video »aktionsbündnis 20«

Das thema »tafel« war von anfang an ein thema des 1€blog. Einer der ganz frühen artikel war im dezember 2007 eine anfrage an die politikerin Petra Pau von der LINKEN. Heute würde ich das etwas anders formulieren - aber auch damals schrieb ich, daß das keine menschenfreundliche veranstaltung ist:

***Ab hier originaltext von 2007 (anführungszeichen angepaßt)***

Meine frage an frau Pau im abgeordnetenwatchforum:

12.12.2007 Frage von
Mechthild Mühlstein
Sehr geehrte Frau Pau,
zumal Sie im beirat der »Berliner Tafel« sind, wende ich mich an Sie. Ich habe gehört, daß bei einem von der »Tafel« betriebenen restaurant für kinder, sogenannte MAE-kräfte als küchenhelfer eingestellt werden, die dann allerdings ihrer ausbildung entsprechend als koch dort arbeiten. Wie sehen Sie das Problem?

Es ist notwendig, daß kinder anständig ernährt werden, und weil es in Berlin leider überdurchschnittlich viele kinder gibt, die in armut aufwachsen besteht ein bedarf an preisgünstigen (oder im idealfall kostenlosen) kantinen. Aber ist es sinnvoll derartiges mit billigarbeitskräften und lebensmittlespenden zu realisieren? Die »Tafel« untergräbt mit diesen mitteln den wettbewerb: schulkantinen, die ihre mitarbeiter anständig bezahlen, können bei solchen preisen nicht mithalten und müssen schließen. Aber die entlassenen arbeitskräfte können sich freuen: sie sind keineswegs überflüssig, sie können ja gemeinützig karriere machen für 1 euro 50 die stunde. Dreht sich bloß die abwärtsspirale ein stückchen weiter nach unten.

Als stammwählerin der LINKEN sehe ich das gesamte projekt der »Tafel« äußerst kritisch, derartige hilfsmaßnahmen verbessern die lage der armen nur unerheblich und im grunde wird sie sogar zementiert. Anstatt almosen zu verteilen sollte es stehts das ziel der LINKEN sein, die wohlfahrtsindustrie überflüssig zu machen. PDSwählerin bin ich NICHT geworden, weil ich mich nach der wilhelministischen wohlfahrtspolitik zu zeiten der Kirchenjuste zurücksehnte!

Mit freundlichen grüßen
Mechthild Mühlstein
Ich erhielt auf meine frage folgende antwort:

18.12.2007 Antwort von
Petra Pau
Sehr geehrte Mechthild Mühlstein,
wenn reguläre Arbeitsstellen durch so genannte MAE-Kräfte oder auch 1-Euro-Jober verdrängt werden, dann ist das selbstverständlich nicht in Ordnung. Da haben sie völlig recht. Dadurch wird eine Spirale bedient, die für immer mehr direkt oder indirekt Betroffenen in die Armut führt.

Wobei mir beim Schreiben gerade erneut auffällt, wie unwürdig solche Begriffe wie »MAE-Kräfte« oder »1-Euro-Jober« klingen. Schließlich geht es um Menschen.

Ob diese oben beschriebene Verdrängung auch bei der »Berliner Tafel« stattfand, das weiß ich nicht. Ich vermute aber, eher nicht, denn die »Berliner Tafel» fußt, wie die »Tafeln« anderen Ortes auch, vor allem auf ehrenamtlichem Engagement.

Zur »Tafel« selber habe ich eine andere Einschätzung als Sie. Ich kritisiere nicht die »Tafeln«, sondern die gesellschaftlichen Missstände, die sie für viele Menschen in Not erst nötig machen. Und leider sind im reichen Deutschland immer mehr Menschen auf solche karikativen Einrichtungen angewiesen, um wenigstens ihr täglich Brot zu haben.

Gewiss gibt es Schul-Kantinen, die ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen können. Es gibt aber auch zunehmend Eltern, die schlicht das Schul-Essen für ihre Kinder nicht mehr bezahlen können. Daran ist aber nicht die »Tafel« schuld, sondern vor allem die Bundes-Politik und ihr ungerechtes Steuer- und Sozialsystem.

Ich habe übrigens vor einigen Tagen gemeinsam mit dem Autor Helmut Kuhn sein jüngstes Buch vorgestellt. Es heißt »Arm, Reich – und dazwischen nichts?« Ich empfehle es.

Mit freundlichen Grüßen
Petra Pau
Mein kommentar:

Immerhin gibt frau Pau zu, keine ahnung zu haben von dem, was in jenem verein, für den sie ihr gesicht hergibt, passiert.

Zugegebenermaßen mag es für manch einen arbeitslosen, der seine arbeit bei der tafel verrichtet, sogar attraktiv erschein, anstatt ehrenamtlich und völlig ohne lohn zu arbeiten, dann wenigstens für die »sinnvolle« arbeit mit dem in Berlin üblichen einen euro fünfzig pro stunde belohnt zu werden. Für manch einen wird diese arbeit aber auch zur qual.

Was mich verwundert, ist, daß frau Pau, begriffe wie »1-Euro-jobber« oder »MAE-kräfte« für verwerflich hält. Den inhalt der arbeit, von denselben personen ehrenamtlich durchgeführt, findet sie offenbar in ordnung. Selbstverständlich sind die »tafeln« nicht ursache der armut. Die »tafeln« sind ein mittel zur bekämpfung der symptome der armut. Und ähnlich wie in der medizin das mittelchen zur bekämpfung der symptome einer krankheit den patienten unter umständen erst richtig krank macht, vernichten einrichtungen wie diese nicht nur arbeitsplätze, sie zementieren die situation derer, die auf sie angewiesen sind. Diese menschen werden in eine demutsposition gezwungen, indem man sie zu almosenempfängern macht.

Auf der gegenseite stehen die »edlen« spender, die die überreste des kalten buffets, die die anspruchsvollen gäste verschmähten, großzügigst an wohltätige organisationen spenden, damit es hinterher so ausschaut, als habe man das freßgelage nur veranstaltet, um hinterher der allgemeinheit dienen zu können.

Die aufgabe linker politik darf nicht die einrichtung von suppenküchen sein, das ziel muß die überflüssigmachung dieser einrichtungen sein.

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