Wenn etwas schlimmes geschehen ist, sprechen menschen, die etwas von moral halten gern davon, daß dort unrecht widerfahren sei.
Neulich ist in Berlin etwas passiert. Eine schwerbehinderte rentnerin, die nach dem eigentümerwechsel ihrer wohnung ihre miete nicht gezahlt hatte, wurde zwangsgeräumt und verstarb zwei tage später in der kältenothilfe Wedding.
Dieser bedauerliche fall löste eine welle der empörung aus. Obgleich zwangsräumungen in diesem staat nichts besonderes sind. Letztens stand in der jungen welt, daß im jahr 2010 allein in Berlin 104 zwangsräumungen stattgefunden hätten, derartiges steht hier also zwei mal pro woche auf der tagesordnung. Anderen quellen zufolge passiert das noch viel häufiger.
Auf den bildern, die mir von einer unterstützerdemo überliefert sind, sah man transparente, auf denen geschrieben stand, daß wohnen ein recht sei, wohnraum bezahlbar bleiben müsse oder daß menschenleben für profit geopfert worden sei. Mord sei es gewesen. Gleichzeitig soll es morddrohungen gegen die ehemalige vermieterin der Rosemarie F. gegeben haben. Daß es paradox ist, den tod zu beklagen und gleichzeitig den tod zu fordern, dürfte leicht erkennbar sein. Darüber zu lästern, daß so ein denken inkonsequent wäre, ginge jedoch an der angelegenheit vorbei. Denn wenn menschen gerechtigkeit fordern, folgt daraus, daß ein »tunichtgut«, oder in diesem fall eine »tunichtgütin«, im zweifelsfall für das, was er getan hat, bestraft gehört.
An diesem beispiel läßt sich schön erkennen, wie menschen mit moralischer gesinnung denken: sie halten eine menge vom recht, das sie vom bürgerlichen staat vorgesetzt bekommen. Hinzu kommt ein »gedachtes recht«, das überhaupt nicht gilt, mit dem jedoch alles besser sein könnte, wenn es das gäbe und die leute sich dran hielten. Das ist die forderung nach moralischem handeln - und die ist im grunde nichts anderes als »schöner leben mit dem konjunktiv«.
Wer fordert, daß es anders sein müßte, erkennt die gegensätze, die ihm hier kostenlos serviert werden, prangert es an, bleibt jedoch auf halber strecke stehen: gegensätze sollen nicht abgeschafft und aufgelöst werden, sondern versöhnt. Die leute sollen ihren gegensätzlichen interessen nachgehen, andere jedoch durch mäßigung nicht in dem grad schädigen, wie es ihnen der gesetzeslage entsprechend zustünde. Moral ist die forderung, daß man die eigenen interessen zu gunsten anderer zügeln soll.
Und wenn man mit einem idealen maßstab in die welt schaut, der »gut«, vielleicht sogar »vernünftig« sein könnte‚ der jedoch überhaupt nicht gilt, bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als an der schlechtigkeit der menschheit und an der welt überhaupt zu verzweifeln.
Ein recht auf wohnen gibt es in diesem staat nicht. Ein gesetz, das regelt, wieviel wohnraum einem menschen mindestens zusteht und wie der mindestens beschaffen sein muß, ist nicht gesetzlich geregelt. Hingegen gibt es ein mietrecht - und da steht nicht drin, daß es bei strafe verboten ist, mieten zu erhöhen oder arme, alte menschen auf die straße zu setzen, wenn die sich nicht an die regeln halten. Vielmehr ist darin beispielsweise geregelt, wann man den mieter rauswerfen darf: wenn der mieter eine bestimmte zeit nicht gezahlt hat oder wenn er den hausfrieden stört. Und um den hausfrieden zu stören, muß man kein auf krawall gebürsteter radaubruder sein. Es reicht, wenn man ein fleißiger, kulturbeflissener mensch ist, dementsprechend in der wohnung musikunterricht erteilt und die nachbarn sich gestört fühlen.
Wer den wunsch nach bezahlbaren wohnungen äußert, hat nichts dagegen, daß arme leute, die kein wohneigentum haben, wohnungen mieten müssen von menschen, die sich wohneigentum angeeignet haben, das sie selbst gar nicht brauchen. Zum problem wird das für moralisten erst, wenn die wohnungseigentümer von ihrem staatlich verbrieften recht, im rahmen der gesetze möglichst viel geld mit den wohnungen zu verdienen, gebrauch machen. Wenn man das so auffaßt, kommt dann gern das argument, daß wohnungen gebaut und irgendwie auch bezahlt werden müssen. Das mag es im einzelfall geben, daß ein sozial gesonnener hausbesitzer für einen armen sein dachgeschoß ausbaut, damit der eine bleibe hat und mit der miete den kredit, den er dafür aufgenommen hat, abstottert. Der normalfall sieht jedoch anders aus.
Den interessenkonflikt, in den mieter und vermieter gestellt sind, kennen moralisten, jedoch wollen sie ihn nicht auflösen, sondern »miteinander vereinbar machen«. Anständig verhalten sollen sich die leute - das moralisch gute verhalten besteht darin, daß die vermieter sich mäßigen sollen und auf ihre ansprüche verzichten. Stattdessen könnte man auch drauf kommen, daß das »gute« recht, eigentum zu haben und zu mehren unter dem schutz des staates keine »feine sache« ist und abgeschafft gehört.
Die existenz eines jeden menschen darf nicht von gedachten idealen abhängig sein. Das leben und die versorgung mit allem lebensnotwendigem hat selbstverständlichkeit zu sein.
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