»Wovon man nicht schweigen kann, darüber muß man reden.
Das ist meine meinung. Aber nicht die Wittgensteins.« (Mechthild Mühlstein)
- willkommen in der schlangengrube - (nachtrag ostern 2021)
Dienstag, 16. April 2019
Die große katastrophe
Nachdem schüler freitags streiken, ist bereits das schlimmste eingetreten: fast die hälfte der grundschüler hat eine schlechte handschrift, wodurch zur abwechslung erneut das abendland untergeht. Unglaublich. Diese kinder heutzutage sind einfach die geborenen analphabeten! Wir hätten uns das früher niemals getraut, eine schlechte handschrift zu haben.
Wenigstens erfährt man aus dem artikel, daß es sich bei der studie eigentlich gar nicht um eine studie über die qualität von schülerhandschriften geht, sondern bloß um eine umfrage, bei der die lehrer die situation einschätzen sollten. Das läßt vermuten, daß die ergebnisse der umfrage vor dreißig oder fünfzig jahren wahrscheinlich ähnlich ausgesehen hätten, ich zumindest kann mich nicht erinnern, daß lehrer je zufrieden mit der schreibleistung ihrer schüler gewesen wären.
Marianela Diaz Meyer, die geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts sagt eigenartige dinge wie »Handschreiben macht schlau. Es ist wichtig, dass die Kinder mit der Hand denken.« Das ist seltsam. Zwar müssen kinder das meiste noch lernen, weil wissen leider nicht angeboren ist, aber denken tun sie trotzdem mit dem kopf und nicht mit den händen. Oder (zitat Marianela Diaz Meyer) »Beim Handschreiben – das belegen auch zahlreiche Studien – geht es um Bildung. Handschreiben unterstützt die Rechtschreibung, das Lesen, das Textverständnis, letztlich die schulischen Leistungen insgesamt.« Wer würde es anzweifeln, daß es für schulische leistungen oder bildung von vorteil ist, schreiben zu können?
Aber für das textverständnis? Wenn es notwendig wäre, schreiben zu können, um texte zu verstehen, wäre es ein sinnloses unterfangen, schreibunfähigen klein- oder vorschulkindern vorzulesen. Sie würden nichts verstehen. Und ob das schreiben das lesen unterstützt oder ob es umgekehrt ist, ist ebenfalls fraglich. Lesen und schreiben wurden nicht zu jeder zeit als zusammengehörend betrachtet: die kopisten des mittelalters, die feinsäuberich ganze bibeln abgepinselt haben, konnten häufig nicht lesen. Während die feinen herrschaften, die sich zu jener zeit bücher leisten konnten vorleser hatten, die meist des schreibens unkundig waren.
Die »digitale demenz« beklagten ihrerzeit bereits die Alten Griechen (digital von Lateinisch digitus - finger), denn durch die fingerfertigkeit, dinge aufschreiben zu können, verblöde die menschheit, weil man jeden bockmist aufschreiben könne und sich nichts mehr merken müsse. Wer weiß, was die menschheit alles wußte, bevor die schrift erfunden wurde. Nur werden wir leider nichts davon erfahren, weil nichts davon überliefert wurde.
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