Montag, 30. August 2010

Und nochmal: Zirkus Sarrazyni

Ein gastbeitrag von modesty

Dass Banker in ihrem eigentlichen Job schon genügend Unheil anrichten, haben die aktuellen Finanzkrisen bewiesen. Ganz fatal wird es aber, wenn sich exponierte Bundesbanker und Ex-Finanz-Senatoren als Soziologen und gar als Genetiker betätigen wollen. Dann kommen Machwerke heraus wie »Deutschland schafft sich ab« - wobei es eigentlich gar nicht so schlimm wäre, wenn sich ein Staat, der solche Politiker hervor bringt, abschaffen würde. Aber bevor wir uns zu früh freuen, hier noch ein paar Fakten. Interessant ist allein schon ein Geständnis von Herrn Sarrazin, das auf WeltOnline zu finden ist: »Oftmals konnten subjektiv empfundene Wahrheiten nur dosiert vorgetragen werden«, gesteht er sein jahrelanges Leiden als Beamter und Politiker, der nie sagen durfte, was er dachte. Das ist nun wirklich cool, denn wie wahr sind »subjektiv empfundene  Wahrheiten«? Eine Wahrheit sollte eigentlich nicht subjektiv empfunden, sondern objektiv nachvollziehbar wahr sein, sonst ist es nämlich keine.

Aber ungerührt von solch spitzfindigen Überlegungen sondert Sarrazin die »Wahrheit« ab: »Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden« (sagte Sarrazin der »Welt am Sonntag« und der »Berliner Morgenpost«) Wenn es ein Gen für Ignoranz geben würde, fände es sich gewiss in der Erbsubstanz von Herrn Sarrazin, aber so etwas gibt es nun einmal nicht. Wobei, Ignoranz gibt es zweifelsohne, aber es wäre zu einfach, sie auf einen bestimmten Abschnitt der Desoxyribonukleinsäure (DNA) zu schieben. Das würde ja bedeuten, dass Herr Sarrazin gar nichts dafür kann, dass er so dumm ist. Genau das darf und muss man aber bezweifeln, denn wenn einer so berechnend giftige Halbwahrheiten verbreitet, aus denen falsche Schlüsse gezogen werden sollen, darf man dahinter schon eine gewisse Intelligenz vermuten, die bestimmte Ziele verfolgt. Allerdings kann man auch das wiederum nicht auf einen bestimmten DNA-Schnipsel schieben, der seinen Träger schlauer macht.

Unbestritten ist, dass es in allen Lebewesen Erbsubstanz und somit Gene für alles mögliche gibt. Derzeit sind beispielsweise gewisse Resistenzen gegen Antibiotika neu im Genom von früher wenig problematischen Bazillen zu finden, die dadurch nun zu gefährlichen Krankheitserregern mutiert sind. Man könnte sich natürlich auf den Standpunkt stellen, die Einzeller seien nun dank der Resistenz-Gene in ihrem Erbgut »intelligenter« geworden, aber das ist natürlich Unsinn. Sie machen uns dadurch leider mehr Probleme als zuvor, aber das ist ein anderes Kapitel.

Jedenfalls ist die primitive Vorstellung, dass es Gene gibt, die für bestimmte »Rassen« typisch seien, ist in der modernen Biologie obsolet. Im Gegenteil: Genetische Analysen haben gezeigt, dass dass die genetischen Unterschiede zwischen den Individuen innerhalb jeder Population ziemlich groß sind während im Vergleich dazu die genetische Variation zwischen den verschiedenen Populationen verhältnismäßig klein ist. Die Wahrnehmung im äußeren Erscheinungsbild (Hautfarbe, Augen- und Nasenform, Körperbau usw.) hat früher dazu verleitet, anzunehmen, dass es entsprechende genetische Unterschiede geben müsste, durch die verschiedene »Rassen« definiert wären. Genau das lässt sich durch die moderne Genetik allerdings nicht belegen.

Dafür beweisen Sarrazins Äußerungen etwas anderes. Nämlich, dass Rassismus weiterhin in Deutschland weiterhin salonfähig ist und durchaus ernsthaft diskutiert wird. 

Rassismus ist der Glaube, dass sich menschliche Populationen (also Deutsche, Türken, Akademiker, Hartz-4-Empfänger usw.) in genetisch bedingten Merkmalen im sozialem Wert unterscheiden, so dass bestimmte Gruppen gegenüber anderen höher- oder minderwertig sind. Nochmals: Es gibt keinen überzeugenden wissenschaftlichen Beleg, dass es tatsächlich so ist, wie Herr Sarrazin glaubt. Aber das Problem mit dem Glaube ist ja, dass ein Gläubiger gegen Beweise resistent ist. Somit ist Glaube das Gegenteil von Wissen. Auch wenn Herr Sarrazin so tut, als habe sein Werk eine wissenschaftliche Grundlage: Es gibt kein Intelligenz-Gen. Und es gibt keine genetisch definierten Rassen.
Es ist kein Tabu, das Herr Sarrazin als mutiger Querdenker bricht, wenn er behauptet, »dass wir als Volk an durchschnittlicher Intelligenz verlieren, wenn die intelligenteren Frauen weniger oder gar keine Kinder zur Welt bringen«. Eine solche Äußerung ist schlicht ein Beweis seines Unwissens (vulgo Dummheit). Man kann sich jetzt noch kleinlich darüber streiten, wie groß der Anteil von kinderlosen Universitätsabsolventinnen in unserer Gesellschaft ist tatsächlich ist. Angesichts der heutigen Lage ist es aber tatsächlich so, dass eine Frau, die intelligent genug ist, über ihre Situation nachzudenken, lieber keine Kinder bekommt. Denn auch Sarrazins unwissenschaftliche Tiraden ändern nichts daran, dass die mit der Kinderaufzucht verbundenen Nachteile in erster Linie zu Lasten der Frauen gehen - und das keineswegs, weil die Biologie vorsieht, dass sie die Kinder bekommen und stillen. Viele Frauen begreifen diesen Umstand durchaus nicht als Nachteil.

Sondern diese Gesellschaft lässt auch ihre akademisch ausgebildeten Frauen komplett im Regen stehen, wenn sie so blöd sind, Kinder zu bekommen. Das fängt mit der oft vergeblichen Suche nach einem Kindergartenplatz an und hört längst nicht mit der oft noch vergeblicheren Suche nach einem halbwegs anständig bezahlten Job auf, der sich mit Kinderaufzucht vereinbaren lässt. Über die Doppelbelastung mit Haushalt und Job, falls sie es tatsächlich schaffen, sowohl die Kinderbetreuung, als auch eine Erwerbstätigkeit zu organisieren, mal gar nicht zu reden. Im Zweifelsfall ist die Mama zuständig, ganz gleich ob es ums Schulbrot, vergessene Hausaufgaben oder nicht vorhandene Turnschuhe geht. Oder um anständige Gene im völkischen Genpool.

Es wird zwar (gerade auch von Sarrazin) so getan, als sei es eine gesamtgesellschaftliche Pflicht und Aufgabe, Kinder zu produzieren und aufzuziehen, Fakt ist aber, dass es im Einzelfall Privatsache ist. Wie so vieles in diesem Staat Privatsache ist und auch bleiben soll. Und gerade Sarrazin als Staatsausgabeneinsparexperte sagt ja auch selbst immer mal wieder, dass die Leute, die sich keine Kinder leisten können, besser keine bekommen sollten. Das sollen lieber die mit den guten Akademiker-Jobs tun. Zwar hat auch ein Sarrazin davon gehört, dass es auch etwas mit der Umwelt bzw. dem Umfeld zu tun hat, ob aus einem Kind ein funktionierender Staatsbürger oder ein Problemfall wird. Trotzdem behauptet er, dass Intelligenz »zu 50 bis 80 Prozent erblich« sei, was seine Empfehlung nahelegt, doch bitte schön auch Akademikerinnen zum Kinderkriegen heranzuziehen, um eine weitere Verblödung des deutschen Volkes zu verhindern. Aber: Wenn ihm so sehr daran gelegen sein sollte - warum trägt er dann selbst massiv zur Massenverblödung bei?!


5 Kommentare:

  1. Meine liebe Freundin Mechthild,
    Herrlich, ausgezeichnet! Nur eine Frage: WER ist Modesty? Ich wollte mir den Beitrag schon vormerken als „Bester Blog der Woche“, aber frage doch erst ob es Dir paßt. Möchte Dich nicht wieder „knifflig“ machen. Den Ausruf gefiel mir aber sehr, Du! Laß es mir also umgehend wissen.
    Der Sarazzin behauptet also daß Juden eine bestimmte Gene haben? So ein vulgärer Quatsch ! Das behaupten die zionistische Rassisten zwar auch, aber das ist kein Beweis. Vielmehr kenne ich persönlich Juden die unmöglich die vorgebliche „Gene“ haben können, einfach weil sie als Nichtjuden geboren sind. Mein geschiedener Mann ist einer davon. Gleich zufügen daß er ein ehrbarer Antizionist und Antirassist ist.
    Und um so weniger die Millionen Menschen die zum Islam übergetreten sind, davon auch welche die von deutsche, französische, holländische, flämische, usw. Eltern geboren sind!
    Das Unglück mit das manipulierte Rudi Carell Volk ist daß rassistische Verdummung nicht nur salonfähig ist sondern, wenn ihren Vorurteile entsprechend vorgetragen, auch angenehm, Musik in die Ohren ist. Könnte ein neuer deutscher Herbst sie aufrütteln?
    Sehr liebe Grüße,
    deine Freundin Nadja
    <3

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  2. Hallo Ihr Lieben

    Modesty kenne ich auch nicht.
    Der erste große Praktiker des Marxismus - Leninismus hat einmal sehr richtig festgestellt,
    dass "Sozialdemokratie" und Faschismus die rechte und die linke Hand des Kapitals sind.
    Sarrazin ist mal wieder ein Beweis.
    Was den deutschen Herbst betrifft, so frage ich mich schon seit Hartz IV, warum nicht mal jemand den Mut aufbringt einen Verantwortlichen für den permanenten Lohn-, Demokratie- und Sozialabbau zur Verantwortung zu ziehen.
    Seit es keine Systemalternative und keine Stadtguerilla mehr in Deutschland gibt, werden die Angriffe der Bonzen und Faschisten gegen das werktätige und aus dem Produktionsprozess gedrängte Volk immer unverschämter.
    Ich traue mich ja selber nicht, mal was konkretes zu unternehmen.
    Rudi Carell; woduch unterschied der sich von anderen Vulgärunterhaltern in der B"R"D, außer durch seinen eigentlich ganz charmant wirkenden Akzent?

    Liebe Grüße

    Angela

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  3. Liebe Nadja,
    an sich hatte ich mir überlegt, das thema »sarrazynismus« einfach auszulassen, weil es im grunde unsinn ist, dem doofen Thilo grund zur genugtuung zu geben, der sich nun freudig denken kann »hach, ich ecke an, also muß es wohl richtig gewesen sein, was ich sagte (bzw. schrieb)«.

    Aber dann schickte Modesty mir diesen text, auf den Du natürlich gern hinweisen darfst. Modesty kann hier aus arbeitsplatztechnischen gründen nicht unter klarnamen schreiben - »freie äußerung der meinung« bedeutet schließlich, daß man sicherheitshalber nichts äußern sollte, das im widerspruch zu den interessen des arbeitgebers stehen könnte. Modesty hat biologie und medienwissenschaften studiert, ist alleinerziehend - und gehört, trotz ihres guten studienabschlusses zu dem personenkreis, den Sarrazin sinngemäß als »ewig kanickelnde unterschicht« bezeichnet - als ihre kinder klein waren, mußte sie von sozialhilfe leben - im sarrazynischen sinne sind menschen, die sich in der konkurrenzgesellschaft nicht durchsetzen konnten, minderwertig. Mit intelligenz oder bildung hat das nichts zu tun.
    Selbstverständlich haben juden kein besonderes gen, weil es für »religion« oder »volk« kein gen gibt. Unfug wie der glauben an ein höheres wesen ist keinesfalls genetisch bedingt, sondern anerzogen. Und wenn der mensch alles entzogen bekommt, das ein wenig licht in sein erbärmliches dasein bringt, klammert er sich am glauben an irrationales fest. Religion, rasse, nation. Im gegensatz zu Sarrazin habe ich keine ausländischen vorfahren und trage einen deutschen namen - ich wüßte nicht, was schlimm dran sein sollte, wenn die deutschen ausstürben. Wer sollte um sie trauern?
    Ein zweiter Deutscher Herbst wäre, genau wie der erste, keine lösung der probleme, er würde nur neue probleme schaffen. Terrorzellen jedweder art dürften den regierungskasperln willkommen sein, damit lassen sich weitere repressionen gegen die bevölkerung durchsetzen.
    Liebe Grüße,
    Mechthild

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  4. Meine sehr liebe Freundin Mechthild,
    Kommst Du nicht zu mir, komme ich zu Dir! Es warten eine Abbildung und Widmung auf eine Zuschrift von Dir in „Politiek en Cultuur‘.
    Sehr, sehr liebe Grüße,
    Deine Nadja
    <3

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