Lena, Lena, Lena!
Der natürlich gänzlich unpolitische Sonntagspatriotismus
»Danke, Lena!«, »Unsere Lena hat gesiegt!«, »Lena, unsere Erlösung!« Die Kanzlerin gratuliert, ARD und PRO Sieben ändern das Programm, die Einschaltquoten liegen weit über dem Fussballländerspiel, das zur gleichen Zeit läuft, und in Hannover fährt am nächsten Tag ein Autokorso mit der schwarz-rot-gold geschmückten Schülerin durch die Masse ausgerasteter Fans, die die Nacht durch gefeiert haben. Das Bundesverdienstkreuz soll sie erhalten und beim nächsten Eurovision Song Contest wieder antreten... Spinnt das ganze Land? Einerseits schon, anderseits kein bisschen!
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Diese Sorte Spinnerei ist die Sonntagsform des stinknormalen deutschen Nationalismus. Mit Lena kann man ohne Wenn und Aber Deutschland und seine eigene Zugehörigkeit zu diesem Nationalstaat ganz einfach gut finden und feiern. Und das wird ausgekostet, wo es sonst im privaten Alltag recht wenig zu feiern gibt. Begonnen hat das mit der Fussballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Seit dem ist all das, was vor kurzem noch als rechtsextrem galt, als fröhlicher, »unverkrampfter Patriotismus« (Ex-Bundespräsident Köhler) salonfähig geworden und darf in Schwarz-rot-gold durch die Straßen toben oder in Public-Viewing- Zonen mit »Deutsch-ist-geil-Partys« auf den Putz hauen. So unpolitisch dieser Sonntagspatriotismus auch ist, harmlos ist auch er deswegen noch lange nicht. Gerade deswegen ist er es nicht: »Die Deutschen zeigen, wieder einmal, dass sie sich sehr gut selbst feiern können«, schreibt die Süddeutsche Zeitung und trifft, wohl unfreiwillig, den Nagel auf den Kopf. Dieser Party-Nationalismus tritt in der Tat nicht für ein politisches Programm an: Weder für ein »Ausländer, raus aus Deutschland«, noch für ein »Deutschland, raus aus Afghanistan«, weder für noch gegen Steuererhöhung, weder für noch gegen den Mindestlohn. Sein einziger Inhalt ist die ganz inhaltslose Feier der Zugehörigkeit zu Deutschland. Sein Anlass: Eine deutsche Schülerin hat in einem europäischen Song-Contest mit einem albernen Lied gewonnen. Und dass diese leere positive Stellung zur deutschen Heimat als Gefühl gefeiert wird, das ist es, was den Machern des deutschen Staates so gut gefällt, dass sie nach einer solchen nationalistischen Orgie der Hoffnung Ausdruck geben, diese gefühlige, begründungslose Parteilichkeit für die deutsche Sache möge doch über den Anlass hinaus – Lena, die letzte oder die kommende WM – andauern. Es ist keine Frage, warum die Berufsnationalisten von den Regierungsparteien diese Hoffnung hegen. Sie sprechen es sogar aus – und nicht einmal das macht die angesprochene Fangemeinde skeptisch: Vielleicht schluckt das Volk dann die nächste Rentenkürzung, die nächste Mehrwertsteuererhöhung oder eine Autobahngebühr eher. Kurz: Vielleicht lässt sich das Volk dann leichter regieren.
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Auf diese Weise funktioniert der Alltagsnationalismus deutscher Bürger, dessen Credo lautet, das »wir« es mit eigener Anstrengung und staatlicher Politik schon schaffen werden – was immer dieses ebenso ominöse wie praktische »es« auch sein mag, das die Frage des Nutznießers realistischerweise offen lässt und sich mit der ganz abstrakten Hoffnung beruhigt, dass Opfer für »unseren Staat« doch letztlich »uns« zugute kommen müssten. Auf jeden Fall weiß er, dass es ohne diesen Staat und seine Politik nun schon gar nicht geht, und dass bekanntlich alle anderen Systeme gescheitert sind. Und wenn es mal wieder nur zu Erfolgen nationaler Politik reicht, dann kann man diese als »unsere Siege« feiern. Die auf dem Weltmarkt, die bei auswärtigen »Friedenseinsätzen«, die im Sport und die von Lena. Das sind nämlich alles »unsere Erfolge«, die »unsere« Größe, Überlegenheit und Erfolgsberechtigung unterstreichen; was für sich schon dafür spricht, dass es ein Glück, wenn nicht gar eine Ehre ist, dieser Nation anzugehören. Übrigens kann man auf Nebenfronten im Bereich von Sport und Kultur selbst noch bei Niederlagen – Deutschland scheidet z.B. in Südafrika in der Vorrunde aus – als Deutscher Größe zeigen: Anderen gönnen wir auch (!) schon mal Erfolge; gerade den Nationen, die sonst als Opfer hiesiger Politik nichts zu lachen haben.
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Ob sich diese Stimmung nicht nur für Deutschland, sondern gleich für Europa bzw. für deutsche Anliegen in und mit Europa nützlich einsetzen lässt, fragen Zeitungsleute weiter: Europa kann »einfach Spaß machen«, soll der Eurovision Contest in Oslo laut FTD gezeigt haben. In der Tat. Nichts von dem, was Europa mit seinem Euro zur Zeit wirklich wenig Spaß bereitet, war Gegenstand des Wettbewerbs. Nichts davon, dass die EU von einer Finanzkrise in die nächste treibt, europäischen Völkern härteste Sparprogramme verpasst werden, Euro-Spargroschen gefährdet sind und das Auseinanderbrechen dieser einst gegen die Weltmacht USA angetretenen Union von den EU-Mächten befürchtet wird. Und zugleich war all dies doch immer das Thema, meldet die gleiche Zeitung: »Lena hat deutlich mehr zur Förderung der europäischen Idee beigetragen als die Kanzlerin«. Denn angesichts des gerade in Politikerkreisen angesagten »Deutschen- Bashing« müsse man einer Lena dankbar sein, »weil sie es schaffte, Europa für etwas Deutsches zu begeistern«. Und: »Solche Emotionen braucht Europa häufiger, um zu funktionieren.« So durchgeknallt wird der Schreiber auch nicht sein, dass er meint, über »Spaß« und »Emotionen« ließen sich die Probleme der neuen Finanzkrise um den Euro lösen. Aber das eine denkt er durchaus: Ein wenig mehr Europa- Nationalismus könnte schon sein, um die gegensätzlichen Interessen der europäischen Nationalstaaten zu versöhnen (Vgl. dazu: Anmerkungen zu Griechenlands Staatsbankrott, in: Gegenstandpunkt 1/10, S.113). So etwas wie die »Vereinigten Staaten von Europa« könnte man sehr wohl brauchen, um der »außerordentlichen Relevanz« (Alle Zitate aus: „Danke, Lena!“, FTD, 31.5.2010) des Projektes Europa wieder mehr Geltung zu verschaffen. Und worin die besteht, daran herrscht kein Zweifel: In der Konkurrenz mit alten und neuen Weltmächten um Reichtum und Einfluss der Nationen darf Europa nicht weiter abdriften, sondern hat sich im Gegenteil neu und gestärkt aufzustellen. Eine spaßige Vorstellung!
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Fast könnte man versucht sein, Frl. Meyer-Landrut gegen diese Instrumentalisierungen in Schutz zu nehmen. Aber wirklich nur fast!
Dieser nationalistische Wahn hat für die Nation und ihre Führer großen Nutzen – es ist der für den Staat billigste Nationalismus, der NICHTS dafür haben will, außer pur dem nationalistischen Wahn zu verfallen. Anders als der früher propagierte Verfassungspatriotismus, der immerhin mit Grundrechten und damit einem angeblichen Nutzen für den Einzelnen argumentieren konnte, stellt sich dieser Fußballnationalismus völlig interessenlos hinter alles, was toitsch ist. Der Fußballnationalist ist einfach NUR noch begeistert von Deutschland. Dies macht sich der Staat zunutze – solche Untertanen schaffen gerne mehr für weniger Geld, solche Untertanen ziehen lieber in den Krieg als andere - kurz: sind noch bravere Michel.
AntwortenLöschenWer mehr vom GegenStandpunkt (zu dem Freerk Huisken auch gehört) zum Thmea WM hören möchte, der höre mal hier rein:
- „Zur Fußballweltmeisterschaft. Vom Nutzen des Balltretens für den (Inter-) Nationalismus“ (28.06.2006, Regensburg, Dr. Rolf Röhrig)
- „Deutschland im WM-Fieber. Das Volk spielt schwarzrotgold verrückt. Politik und Presse sind begeistert: „Endlich werden die Deutschen normal!““ (13. Juli 2006, Nürnberg, Dr. Peter Decker)
[beide Veranstaltungen sind in der langen Liste unter http://doku.argudiss.de/?Kategorie=all zu finden]
Dort werden die Leistungen des nationalistischen Fußballwahns für den bürgerlichen Staat erklärt - viel Spaß beim Hören!
Grüßle
@ Daniel
AntwortenLöschendanke für die links. Bei argudiss.de findet man tatsächlich viel interessantes, da werde ich von zeit zu zeit bestimmt noch den einen oder anderen hinweis schreiben. Marxistische anmerkungen sind in diesem blog übrigens ausdrücklich erlaubt.