Zitat: »Es hätte diese Straßenbahnfahrt zu einer ungestörten Freudenfahrt werden können, wäre es nicht der Vorabend des ersten September neununddreißig gewesen, an dem sich der Triebwagen mit Anhänger der Linie Fünf, vom Max-Halbe-Platz an vollbesetzt mit müden und dennoch lauten Badegästen des Seebades Brösen, in Richtung Stadt klingelte. Welch ein Spätsommerabend hätte uns nach Abgabe der Trommel im Café Weitzke hinter Limonade mit Strohhalmen gewinkt, wenn nicht in der Hafeneinfahrt, gegenüber der Westerplatte, die beiden Linienschiffe »Schlesien« und »Schleswig-Holstein« festgemacht und der roten Backsteinmauer mit dahinterliegendem Munitionsbecken ihre Stahlrümpfe, drehbaren Doppeltürme und Kasemattengeschütze gezeigt hätten. Wie schön wäre es gewesen, an der Pförtnerwohnung der Polnischen Post zu klingeln und eine harmlose Kinderblechtrommel dem Hausmeister Kobyella zur Reparatur anvertrauen zu können, wenn das Innere der Post nicht schon seit Monaten mit Panzerplatten in Verteidigungszustand versetzt, ein bislang harmloses Postpersonal, Beamte, Briefträger, während Wochenendschulungen in Gdingen und Oxhöft in eine Festungsbesatzung verwandelt worden wäre.«
Aus: Günter Grass - Die Blechtrommel
»Wovon man nicht schweigen kann, darüber muß man reden.
Das ist meine meinung. Aber nicht die Wittgensteins.« (Mechthild Mühlstein)
- willkommen in der schlangengrube - (nachtrag ostern 2021)
Montag, 31. August 2009
Einunddreißigster August neunzehnhundertneununddreißig
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weltkriegslaune
Freitag, 28. August 2009
Ein Prolet erzählt
Die poletarische literatur der Weimarer Republik ist in den letzten jahren ein wenig in vergessenheit geraten, weshalb ich an Ludwig Turek erinnern möchte, der heute vor hundertelf jahren geboren wurde.
So beginnt Ludwig Tureks autobiographie, die 1929 in Wieland Herzfeldes Malik-Verlag erschien. In lebendiger sprache und nicht ganz ohne finsteren witz erzählt er seine geschichte: über die kindheit in der kaiserzeit, die für ihn, genau wie für die meisten menschen alles andere als romantisch war. Stattdessen berichtet er über hunger, elend und sklavenähnliche arbeitsverhältnisse schon als kind - im jahre 1912 immerhin eine der raren bezahlten lehrstellen als schriftsetzer und eintritt in die »Sozialistische Arbeiterjugend«. Nach der lehre folgt (unfreiwilliger) kriegsdienst und festungshaft als deserteur. Unter anderem in der festung Spandau (anmerkung: verfasser dieser zeilen war als 1€jobber gezwungen, an einer romantisierenden broschüre über diese hinterlassenschaft aus »der guten alten zeit« mitzuwirken), die als riesige folterkammer beschrieben wird. Todesstrafe durch arbeit und hunger.
Die geschichtsschreibung überliefert, daß er eines sonntags früh um sieben, den verleger Wieland Herzfelde, welcher bei Spamer drucken ließ, in Berlin aus dem schlaf geklingelt haben soll, mit einem manuskript in der hand und in eile, weil er abends zur spätschicht wieder in Leipzig sein mußte. Von anderen verlacht, weil ein »pinscher« nichts zu sagen hat, war Ludwig Turek auf die idee gekommen, über sein leben zu schreiben. So persönlich diese geschichte ist, sagt sie viel über die politischen- und die lebensverhältnisse der damaligen zeit aus. Beim frühstück wurden sich Herzfelde und Turek einig. Der autor bekam die geforderten 800 mark für das manuskript. Das buch wurde in der erstauflage mit 8000 (!) exemplaren gedruckt. Die Spamersche Druckerei versuchte, das kapitel über ihre arbeitsbedingungen streichen zu lassen, aber weder autor noch verlag ließen sich durch geld korrumpieren.
»Um mitzuhelfen, die Duldsamkeit zu brechen - darum habe ich geschrieben. Nicht für Literaten und Schwärmer, sondern für meine Klasse.«
Ludwig Turek
Zitat: »Am 28. August 1898, an einem Sonntagabend, erblickte ich zum erstenmal das Licht. Es war das Licht einer alten Petroleumlampe. Ich glaube, meine Mutter hatte zu dieser Geburt an einem Werktage keine Zeit. Auch der Umstand, daß ich nicht, wie die meisten Menschen in einem Bett, sondern auf kahlen Dielenbrettern neben einer uralten Kommode geboren wurde, spricht dafür, daß meine Mutter auf das Ereignis keinen großen Wert legte. Es ist auch nicht anzunehmen, sie habe mich aus Aberglauben an einem Sonntag auf diesen Planeten gesetzt, um mich den Glücksgöttern als Sonntagskind zu empfehlen...«
So beginnt Ludwig Tureks autobiographie, die 1929 in Wieland Herzfeldes Malik-Verlag erschien. In lebendiger sprache und nicht ganz ohne finsteren witz erzählt er seine geschichte: über die kindheit in der kaiserzeit, die für ihn, genau wie für die meisten menschen alles andere als romantisch war. Stattdessen berichtet er über hunger, elend und sklavenähnliche arbeitsverhältnisse schon als kind - im jahre 1912 immerhin eine der raren bezahlten lehrstellen als schriftsetzer und eintritt in die »Sozialistische Arbeiterjugend«. Nach der lehre folgt (unfreiwilliger) kriegsdienst und festungshaft als deserteur. Unter anderem in der festung Spandau (anmerkung: verfasser dieser zeilen war als 1€jobber gezwungen, an einer romantisierenden broschüre über diese hinterlassenschaft aus »der guten alten zeit« mitzuwirken), die als riesige folterkammer beschrieben wird. Todesstrafe durch arbeit und hunger.
Zitat: »Seit sechs Jahren arbeite ich nun in Leipzig als Setzer. Und seit vier Jahren in der Spamerschen Buchdruckerei, von der da stehet geschrieben: Und als der Herr Jesus die Spamersche Buchdruckerei zum ersten mal sah, drehte er sich um und weinte bitterlich.«
Die geschichtsschreibung überliefert, daß er eines sonntags früh um sieben, den verleger Wieland Herzfelde, welcher bei Spamer drucken ließ, in Berlin aus dem schlaf geklingelt haben soll, mit einem manuskript in der hand und in eile, weil er abends zur spätschicht wieder in Leipzig sein mußte. Von anderen verlacht, weil ein »pinscher« nichts zu sagen hat, war Ludwig Turek auf die idee gekommen, über sein leben zu schreiben. So persönlich diese geschichte ist, sagt sie viel über die politischen- und die lebensverhältnisse der damaligen zeit aus. Beim frühstück wurden sich Herzfelde und Turek einig. Der autor bekam die geforderten 800 mark für das manuskript. Das buch wurde in der erstauflage mit 8000 (!) exemplaren gedruckt. Die Spamersche Druckerei versuchte, das kapitel über ihre arbeitsbedingungen streichen zu lassen, aber weder autor noch verlag ließen sich durch geld korrumpieren.
»Um mitzuhelfen, die Duldsamkeit zu brechen - darum habe ich geschrieben. Nicht für Literaten und Schwärmer, sondern für meine Klasse.«
Ludwig Turek
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1€blog,
kulturkritik
Sonntag, 23. August 2009
1-Euro-Bloggerei geht weiter
Hier entsteht das neue 1€blog von Mechthild Mühlstein. Nachdem die blogwelten und kulando offenbar ausgebloggt haben spurlos verschwanden, geht es demnächst an dieser stelle weiter.
Die artikel, die ich zum thema »armutslohn im öffentlichen auftrag« geschrieben habe und die ursprünglich für einem separaten blog gedacht waren, der an Wallraffs »ganz unten« anknüpfend »nach unten« heißen sollte, werden an dieser stelle unter gleichnamigem lable zu lesen sein.
Wenn ich mich hier häuslich eingerichtet habe.
Nachbemerkung 31. August: leider »zickt« die kommentarfunktion nun bei mir - in CoComent ist der mein kommentar gespeichert in meinem eigenen blog nicht.
Vielen dank an Kurt für das freundliche hilfsangebot. Darauf werde ich, wenn sich fragen ergeben gern zurückkommen. Muß erstmal ausprobieren und rumbasteln.
Die artikel, die ich zum thema »armutslohn im öffentlichen auftrag« geschrieben habe und die ursprünglich für einem separaten blog gedacht waren, der an Wallraffs »ganz unten« anknüpfend »nach unten« heißen sollte, werden an dieser stelle unter gleichnamigem lable zu lesen sein.
Wenn ich mich hier häuslich eingerichtet habe.
Nachbemerkung 31. August: leider »zickt« die kommentarfunktion nun bei mir - in CoComent ist der mein kommentar gespeichert in meinem eigenen blog nicht.
Vielen dank an Kurt für das freundliche hilfsangebot. Darauf werde ich, wenn sich fragen ergeben gern zurückkommen. Muß erstmal ausprobieren und rumbasteln.
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