Freitag, 26. Mai 2017

Jeder seine eigene gewerkschaft

Fortsetzung

Ein streitgespäch mit frau Prof. Dr. Anke Hassel von der Hans-Böckler-Stiftung, Michael Bohmeyer vom verein Mein Grundeinkommen e.V. und hörerbeteiligung, moderiert von Matthias Hanselman vom Deutschlandfunk Kultur.

Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, daß jemand allen ernstes glaubt, daß die grundeinkommensbefürwortenden chefs aus menschenfreundlichkeit die position der arbeitnehmer stärken wollten, kommt es noch härter:
Zitat Michael Bohmeyer: »Ich glaube wir brauchen da ein radikales umdenken. Ein grundeinkommen sorgt dafür, daß jeder seine eigene gewerkschaft ist. Und damit viel mächtiger. Wenn ich 1000 € hab, dann muß ich bestimmte jobs nicht mehr machen zu dem geld, wie ichs heute hab. Dann hab ich zum ersten mal einen wirklichen arbeitsmarkt, weil ich ne verhandlungsposition hab mit meinem chef, weil ich nein sagen kann [...]. Dann kann ich sagen, zu dem preis mach ichs nicht mehr. Und dann hat der arbeitgeber verschiedene optionen, entweder er verteilt die arbeit besser oder er bezahlt sie besser, dann kann es sein, daß das einfach teurer wird, saubere toiletten und saubere straßen zu haben, das würde dann auch dem realen gesellschaftlichen wert entsprechen. Und die jobs würden in ein oder zwei generationen total aufgewertet sein, weil wir sagen, wow, Du hast grundeinkommen und machst trotzdem die straße sauber, vielen dank, ich mag saubere straßen. Oder wir kurbeln die digitalisierung an, oder in dem fall die automatisierung, großer unterschied und wir haben viel mehr sich selbst reinigende klos, weil wir können uns nicht mehr leisten, menschen zu bezahlen, anständig, die das für uns machen. Es bringt also, da wo grundeinkommen hinkommt und das erleben wir in unseren experimenten, da entsteht verhandlungsspielraum und da kann man neue fragen stellen, die heute nicht möglich scheinen, weil alles scheint ja so gottgegeben zu sein. Das ist eben so. Nein, das muß nicht so sein, mit nem grundeinkommen können wir dinge neu hinterfragen. Und dann brauchen wir keine kollektivistische organisation mehr, die für mich kämpft, das funktioniert heute eh nicht mehr. Sondern dann bin ich meine eigene gewerkschaft und damit hundert mal effizienter, weil ich nämlich einfach nein sagen kann und deswegen leichter ja sagen kann.«

Zitat Anke Hassel: »Wir haben viele gesellschaften, wo es keine gewerkschaften gibt, wo gewerkschaften noch viel schwächer sind als in Deutschland, wir haben da weniger, daß der einzelne sagt, ich bin meine gewerkschaft. Wir merken schon, daß der einzelne schwächer ist als das kollektiv. Wenn wir auf die geschichte des sozialstaates und auf die geschichte Deutschlands zurückschauen, dann sind die sozialen fortschritte, die errungen wurden durch kollektive errungen worden. Durch menschen, die sich zusammengetan haben und gesagt haben, wir zusammen sagen nein, wozu nicht der einzelne sagt nein.[...] Der einzelne punkt zur verhandlungsmacht. Die annahme, daß mit einem grundeinkommen die verhandlungsmacht des einzelnen steigt. Ich glaube, daß bestimmte jobs dann einfach nicht mehr nachgefragt würden [...] entweder werden solche jobs wegrationalisiert und in manchen bereichen ist das vielleicht auch gut, warum auch nicht? Sie werden auch dort wegrationalisiert wo man sie vielleicht nicht haben wollte[...]. Die vorstellung, daß sich damit die optionen von menschen verbessern, die vielleicht gering qualifiziert sind und trotzdem sich aber dazuverdienen wollen, das diese handlungsmöglichkeit größer wird die ist nicht gegeben.[...] Davon auszugehen, daß für menschen am unteren ende [...] sich der möglichkeitsradius erweitert, das ist nicht unbedingt gegeben.«
Die ideen des herrn Bohmeyer sind an naivität kaum zu überbieten. Ich halte es, ähnlich wie frau Hassel, für eher unwahrscheinlich, daß sich mit dem BGE die möglichkeiten für arme verbessern. Eher im gegenteil. Wahrscheinlich ist sogar, daß sich dadurch auch die lebensverhältnisse für normalverdiener verschlechtern würden, weil dadurch alle sozialleistungen, die man im laufe seines lebens in anspruch nehmen kann, ein für alle mal wegfallen würden.

Noch eine interessante hörermeinung:
Zitat hörer aus Bahrendorf: »Ich wollte sagen, daß ich bisher diesem BGE skeptisch gegenüberstand, aber diese sendung mich davon überzeugt hat, daß ich ein gegner dieses grundeinkommens bin und zwar aus folgenden gründen: erstmal wundert mich, daß solche leute wie von der drogeriekette und die Telekomleute auf einmal dafür sind. Das erklärt sich für mich so, daß, wenn dieses BGE durchgekommen ist, dann gibt es das und sie können für die leute, die sie weiter beschäftigen, die löhne weiterhin senken. Grundlohn ist ja gesichert [...] und wenn das kommt, bin ich sicher, daß es über indirekte steuer, mehrwertsteuererhöhung und so weiter kommt, das ist ja schon in der diskussion, das würde die lebenshaltungskosten erhöhen und würde die ganze problematik dann in die zukunft verschieben, das die leute mit dem geld nicht mehr auskommen. Die andere sache ist die [...] jeder ist seine eigene gewerkschaft. Es individualisiert und meine erfahrung war in meinem leben, daß eine individualisierung nie zu einer verbesserung geführt hat, verschärfung von konkurrenz und solidarisches handeln entgegensteht[...].«

Zitat Michael Bohmeyer: »Sie sprechen das an, daß individualisierung eher zu verschlechterung geführt hat in der vergangenheit. Da stimme ich ihnen total zu, na klar. Wenn in diesem system jeder mensch erwerbsarbeiten muß, um überleben zu können und damit automatisch mit allen anderen um die viel zu knapp vorhandenen bezahlten arbeitsplätze konkurrieren muß, dann führt individualisierung natürlich dazu, daß es schwächere gewerkschaften gibt. Daß es weniger gemeinschaftsgefühl gibt, weil wir alle einander feind sind, weil wir alle überleben wollen. Grundeinkommen ist aber eine andere art der individualisierung. Es ist nämlich kein zwang damit verbunden. Ich glaube, daß der mensch sich in gruppen zusammenschließen möchte. Daß er familien, freundeskreise, gruppen und solche zugehörigkeiten haben will. Daß er solidarisch sein will. Aber er kann es aber eben nur dann, wenn sein überleben in würde gesichert ist, wenn er selber aus dem streß rauskommt. Wenn er nicht mehr das gefühl hat, er muß mit den anderen konkurrieren, dann kann erst echte solidarität entstehen. Und ich weiß, daß das ein bißchen schwer zu denken ist. Weil man dafür erstmal selber erkennen muß, daß die anderen eben nicht die feinde sind, das haben wir ja so lange gelernt in unserer gesellschaft. Dazu möchte ich einfach mal aufrufen, das einfach mal zu probieren. [...] Grundeinkommen ist nicht das ende des politischen. Wir werden danach noch über grenzen, über zuwanderung diskutieren müssen. Aber erstmal: warum sollen wir uns denn das schöne leben verwehren, nur weil andere dann vielleicht auch daran teilhaben wollen würden? Was ist das für eine annahme? Auch heute haben wir schon in Deutschland deutlich bessere sozialleistungen als in anderen Europäischen ländern und trotzdem ist der zuzug nicht so gigantisch groß, daß nicht trotzdem unsere bevölkerung schrumpfen würde. Und was wir mit den Außereuropäischen ländern machen und deren zuzug, naja, da sehen wir ja, was wir heute machen, wir sind ja schon eins der beliebtesten länder der welt und dann ertrinken jetzt die leute im mittelmeer. Das wird ein grundeinkommen nicht verändern. Und wir müssen darüber weiter debattieren und streiten. Das wird auch ein grundeinkommen nicht lösen.«
Dazu fällt mir so langsam nichts mehr ein.
Zitat Matthias Hanselmann: »Wissen Sie beide, womit ich ein problem habe? Der herr Bohmeyer ist ganz klar der visionär, er hat eine utopie, die er zum teil ja auch lebt und das finden ganz viele von unseren hörerinnen und hörern ganz wunderbar und frau Hassel ist wissenschaftlerin und ist praktikerin und hat ganz viele argumente, das ist klar, daß Sie jetzt in dieser situation weniger zuspruch von hörerinnen und hörern bekommen, als der herr Bohmeyer. Aber es geht ja letztlich um das menschenbild, herr Bohmeyer hat ein sein positives menschenbild. Er sagt, nur mit diesem menschenbild kann das BGE auch wirklich greifen. Sie haben aber kein negativeres menschenbild, frau Hassel, wenn Sie resümieren, was wir in den letzten beiden stunden besprochen haben, was bleibt bei Ihnen hängen?«

Zitat Anke Hassel: »Nein, ich glaube das menschenbild ist nicht die entscheidende frage beim grundeinkommen. Und das habe ich vorher schon gesagt. Es geht jetzt nicht um die frage, werden alle dann alle faul, legen die sich auf die faule haut, oder gehen wir davon aus, jeder möchte sich in die gesellschaft integrieren und wird aktiv sein. Ich glaub das auch, daß man zu einem erfüllten leben aktiv sein will und daß die menschen das im prinzip auch wollen. Mit dem punkt habe ich überhaupt kein problem. Das problem beim grundeinkommen ist für mich, zu sagen wir nehmen da sehr viel geld in die hand, wir müssen unser komplettes sozialsystem dafür verändern und mit diesem vielen geld, das wir für menschen ausgeben, die es nicht bräuchten, könnten wir so viel mehr erreichen. Das ist mein punkt: wir könnten viel bessere sachen machen mit diesem vielen geld.«
Es hat wenig mit dem menschenbild zu tun, wenn man konzernchefs, die für das BGE sind, mißtraut. Die mögen privat vielleicht nette menschen sein, was mit der sache aber nichts zu tun hat. Die sind nicht aus menschenfreundlichkeit auf ihren posten, sondern um dort geschäftsinteressen durchzusetzen und dafür käme ihnen das BGE gerade recht, weil sie damit eine menge probleme los wären.

Für die normalmenschen wäre damit allerdings gar nichts gelöst. Sie hätten zwar erstmal ein paar cent mehr in der tasche - aber dann eben auch wesentlich höhere kosten. Wer für das BGE ist, ist für die abschaffung des sozialstaates. Es ist eine wirklich seltsame sache, daß sich da jemand in ein hörfunkstudio setzt, die negativen auswirkungen des neoliberalismus beklagt und gleichzeitig die nächste neoliberale reform einfordert.

Vermutlich löscht er auch feuer mit vodka.

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